Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 4.

58 Klippen des Glü>s.

lobten gezogen, fie war ſehr bleich geworden, mit weit ge= öffneten Augen , mit ſtarrem Bli> ſchaute ſie den Vorleſen= den an. „Ex lebt!“ flüſterte ſie mit leiſer, tonloſer Stimme.

„Ex lebt, und Du biſt die Braut des Herrn v. Wangen,“ erwiederte thr Lieschen.

Ein einziger Blik, in welchem ein glühender, wilder Haß ſi< ausſprach, war die Antwort Bertha's; im nä<hz ſten Moment rötheten ſich ihre Wangen wieder, ihr Auge erglänzte, ein wunderbar liebreizendes Lächeln umſpielte ihre Lippen, als ſie ſchnell zu ihrem Verlobten ſi< wen=dend mit innigem Tone ſagte:

„Ja, ich bin die glü>lihe Braut meines Hugo, und ich danke Gott, daß i< es bin, daß er mir den ſ<weren Kampf zwiſchen meiner Liebe und einer Pflicht gegen mei= nen Vatér exſpart hat, daß Herr v. Ernau erſt zurü>= gekehrt iſt, nachdem ih dur< meinè Verlobung das Recht erlangt habe, meinem Herzen zu folgen.“

Sie beſtätigte ihre Worté, indem ſie den Arm um den Hals ihres entzü>ten Bräutigams legte, und indem ſie dieſen — zum exſten Male in Gegenwart aller ihrer Verwandten — zärtlich küßte, dann aber zog- fie ſih hoh= erröthend {nell zurüd>.

„Verzeih mix, Tantchen,“ ſagte ſie verlegen, „es war unſchi>lich, aber ih fonnte wixkli< nicht anders. Und nun bitte, lieber Onkel, fahre fort mit dem Vorleſen des Briefes. Es iſt mix zivar jeßt vollſtändig gleichgiltig, ob Herr v. Ernau lebt oder niht, aber neugierig bin ih natürlich doch, was ihn eigentli<h zu ſeiner abenteuerlichen Reiſe bewogen haben kann, und wie er zurückgekehrt iſt.“