Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
Novelle von Shmidt=Weißenfels. 159
Erflärung wegen der unbegreiflichen Trennung von ihrem Manne angegeben, als daß ſie niht mehr mit ihm zu= ſammenleben fönne und werde und man thx Geheimniß deswegen ſchonen möge.
Stunde um Stunde, als ihr Mann ſie verlaſſen, hatte ſie die Polizei erwartet, die auf ihn fahnden würde. Ver= gebens. Dann war ſie Tag um Tag darauf gefaßt geweſen, oder daß die Welt exfahre, wen ſie geheirathet hatte. Nichts von alledem. Es blieb ſtill bei den Gerichten wegen des Condéer’s und des Horat’ſhen Mordes. Michel mußte nichts verrathen haben, und was aus ihrem Mann geworden, wußte Niemand. Lebte er? Hatte er den Tod geſucht oder ihn auf irgend eine Weiſe wider ſeinen Willen gefunden ? Er war und blieb für ſie wie für alle Welt verſchollen.
Aber die Zeit, die auch die Gebeugteſten wieder tröſtet, hatie dieſem armen Weibe die furchtbare Laſt nur beſchwert, die es mit ſi< trug. Wohl war ihre Liebe zu ihren Mann völlig vernichtet; feine Sorge um ihn bedrüctte ihr Herz — todt tivar er für ſie und ſie trauerte deswegen nicht. Marternder jedo< war ihr Schmerz darüber, wie ſ{hmäh= li ſie um ihx Leben2glü> betrogen worden und welches entſeßliche Geheimniß zu bergen fie verdammt war. Denn nicht einen Augenbli> fühlte fie ſi<h verſucht, den Schleier davon zu lüften, dieſe Centnexrlaſt abzuwerfen, ihren Mann ſelbex zu verrathen, ohne gezwungen dazu zu ſein. Sie hätte Golt gelobt, wenn die menſchliche Gerechtigkeit ihn in ihre Gewalt bekommen und ſeine Verbrechen geſühnt hätte; aber ſie ſelber wollte dazu nicht beitragen. Weib und Frau kämpften in ihr. Das Weib hatte ihn für