Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

450 Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katzen.

Löwe mit einem zweijährigen Ninde im Rachen hinweggeſeßt war; ih habe den Eindru> wahrgenommen, welchen die hwere Laſt auf der Firſte des Zaunes bewirkt hatte, und auf der anderen Seite die Vertiefung im Sande bemerkt, welche das herabſtürzende Rind zurückließ, bevor es der Löwe weiterſchleppte. Freilih ſind die Rinder in jenen Gebieten nicht ſo hwer wie die unſerigen. Man ſieht die Furche, welche ein ſo geſchleiftes Tier im Sande zog, oft mit der größten Deutlichkeit bis zum Plate, an welchem es zerriſſen wurde.

Man begreift, daß alle Tiere, welche dieſen Räuber kennen, ſih fürhten ſobald ſie ihn nur brüllen hören. Doch darf man niht glauben, daß der Löwe allezeit ſein Gebrüll dur die Wildnis rollen laſſe. Seine gewöhnlichen Laute ſind ein langgezogener Ton, wie das Miauen einer Rieſenkaße, und ein tiefes Knurren oder Grollen, beim Erſchre>en ein kurzes, huſtenartig hervorgeſtoßenes „Huff“ oder „Wau“. Das wirkliche Gebrüll gibt er verhältni8mäßig recht ſelten von ſih, und mancher, der in Löwengebieten ſi<h aufgehalten, hat es niemals zu hören bekommen. Das Gebrüll iſt bezeihnend für das Tier ſelbſt. Man könnte es einen Ausdrud> ſeiner Kraft nennen: es iſt einzig in ſeiner Art und wird an Fülle von keiner Stimme eines anderen lebenden Weſens, es ſei denn, laut Pehuel-Loeſche, von der des männlichen Hippopotamus, übertroffen. So urteilt auh Selous: „Nichts iſt großartiger und zugleih mehr furhterregend denn das Brüllen mehrerer bei einander befindlichen Löwen, wenn es, wohlgemerkt, aus nächſter Nähe gehört wird. Sicherlich kann nichts ungerechter und falſcher ſein, als die Stimme des Löwen mit der des Straußes zu vergleichen, wie Livingſtone in ſeiner ſehr einſeitigen Schilderung des erſteren es thut. Freilih, der Lärm, den der männliche Strauß während der Legezeit macht, klingt auf eine Entfernung von etwa 50 m re<ht ähnli<h dem Löwengebrülle auf ungefähr 5 km, aber die Fülle iſt ſo verſchieden wie die zwiſchen den Tönen einer Ziehharmonika und einer Domorgel.“ Beſchreiben läßt ſi<h das Löwengebrüll niht. Die Araber haben ein ſehr bezeihnendes Wort dafür: „raad“/, d. h. donnern. Tief aus der Bruſt ſcheint es hervorzukommen und dieſe zerſprengen zu wollen. Es iſt ſ<hwer, die Richtung zu erkennen, von woher es erſchallt; denn der Löwe brüllt gegen die Erde hin, und auf dieſer pflanzt ſih der Schall wirklih wie Donner fort. Das Gebrüll ſelbſt beſteht aus Lauten, welche zwiſhen D und U in der Mitte liegen und überaus kräftig ſind. Jn der Regel beginnt es mit 3 oder 4 langſam hervorgeſtoßenen Lauten, welche faſt wie ein Stöhnen klingen; dann folgen dieſe einzelnen Laute immer ſchneller und ſchneller; gegen das Ende hin aber werden ſie wieder langſamer, und dabei nehmen ſie auh mehr und mehr an Stärke ab, ſo daß die lezten eigentli<h mehr einem Gefknurre gleichen.

Unbeſchreiblich iſ die Wirkung, welche des Königs Stimme unter ſeinen Unterthanen hervorruft. Die heulende Hyäne verſtummt, wenn auh nur auf Augenbli>e; der Leopard hört auf, zu grunzen; die Affen beginnen laut zu gurgeln und ſteigen angſterfüllt zu den höchſten Zweigen empor; die Antilopen brechen in raſender Flucht dur<s Gezweige; die blökende Herde wird totenſtill; das beladene Kamel zittert, gehor<ht feinem Zurufe ſeines Treibers mehr, wirft ſeine Laſten, ſeinen Reiter ab und ſucht ſein Heil in eiliger Flucht; das Pferd bäumt ſich, ſ<hnauft, bläſt die Nüſtern auf und ſtürzt rücwärts; der nicht zur Jagd gewöhnte Hund ſucht winſelnd Schuß bei ſeinem Herrn — kurz, zur vollen Wahrheit wird Freiligraths Schilderung:

„Dem Panthex ſtarrt das Roſenfell, Erzitternd flüchtet die Gazell’,

Es lauſ<t Kamel und Krokodil Des Königs zürnendem Gebrüll“.

Und ſelbſt der Mann, in deſſen Dhr zum erſten Male dieſe Stimme ſ{<lägt in der Nacht des Urwaldes, ſelbſt der fragt ſich, ob er au Held genug ſei dem gegenüber, welcher dieſen