Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Alpenkrähe: Aufenthalt. Flug. Nahrung. Fortpflanzung. ATT

Eigentümlich iſ es, daß die Alpenkrähe nur gewiſſe Örtlichkeiten bewohnt und in anderen, ſcheinbar ebenſo günſtigen, fehlt. So findet ſie ſi, nah Bolle, nur auf Palma, niht aber auf einer anderen der Kanariſchen Fnſeln. „Während dort zahlreihe Shwärme ſowohl die heißen, grottenreichen Thäler des Küſtengebietes wie die hochgelegenen, im Winter mit Schnee bede>ten Bergzinnen bevölkern, haben die in der Entfernung von wenigen Meilen dem Auge weithin ſichtbaren, aus dem Meere auftauchenden Gebirgskämme von Teneriffa, Gomera und Ferro die Auswanderungsluſt dieſer fluggewandten Bewohner der hohen Lüfte noh nie gereizt. Scheu, flüchtig und höchſt geſellig beleben die Anſiedelungen der Alpenkrähen auf das angenehmſte und feſſelndſte die entzü>enden Landſchaften jener unvergleichlihen Jnſel. Fhr Leben ſcheint ein immerwährendes, heiteres Spiel zu ſein; denn man ſieht ſie einander fortwährend jagen und ſih ne>en. Ein leichter, zierlih ſ{hwebender Flug voll der künſtlichſten, anmutigſten Shwenkungen zeichnet ſie aus. Auf friſch bea>erten Feldern fallen ſie in Herden von Tauſenden nieder; auh an einſamen aus den Felſen hervorſprudelnden Quellen ſah ih ſie oft zahlreih zur Tränke kommen.“

Erſt wenn man beobachtet, welche Gegenſtände die Alpenkrähe hauptſählih zu ihrer Nahrung wählt, erkennt man, wie geſchi>t ſie ihren bogenförmigen Schnabel zu verwenden weiß. Nach meinen Erfahrungen iſt ſie nämlich faſt ausſ<hließli<h ein Kerbtierfreſſer, der nur gelegentlih andere Nahrung aufnimmt. Heuſchre>en und Spinnentiere, darunter Skorpionen, dürften in Spanien die Hauptmaſſe ihrer Mahlzeiten bilden, und dieſer Tiere weiß ſie ſich mit größtem Geſchite zu bemächtigen. Sie hebt mit ihrem langen Schnabel fleinere Steine in die Höhe und ſucht die darunter verſte>ten Tiere hervor, bohrt auch, wie die Saatkrähe, nah Kerfen in die Erde oder ſte>t ihren Schnabel unter größere Steine, deren Gewicht ſie niht bewältigen kann, um hier nah ihrer Lieblingsſpeiſe zu forſchen. Während der Brutzeit und der Aufzucht ihrer Jungen plündert ſie auh wohl die Neſter kleinerer Vögel und ſ{leppt die noh unbehilflihen Jungen ihren hungrigen Kindern zu; im Notfalle nimmt ſie ſogar Aas an.

Die Brutzeit fällt in die erſten Monate des Frühlinges. Fn Spanien fanden wir Anfang Juli ausgeflogene Junge. Das Neſt ſelbſt haben wir nicht unterſuchen können; denn au< auf der Jberiſhen Halbinſel behält die Alpenkrähe die löbliche Gewohnheit bei, die Höhlen unexrſteiglicher Felſenwände zu deſſen Anlage zu wählen. Nach Girtanners Unter: fuhungen beſtehen Ober- und Unterbau nur aus dünnen, nah obenhin immer feiner werdenden Wurzelreiſern einer oder ſehr weniger Pflanzen; die Neſtmulde aber iſt mit einem äußerſt dichten, feſten, niht unter 6 cm di>en Filze ausgekleidet, zu deſſen Herſtellung annähernd alle Säugetiere des Gebirges ihren Zoll an Haaren laſſen mußten. Wollflo>en vom Schafe ſind mit Ziegen- und Gemſenhaaren, große Büſchel weißer Haſenhaare mit ſolcen des Nindes ſorgfältig ineinander verarbeitet worden. „Wo das Neſt ſih an den Felſen anſ<hmiegte, iſt der Filz noh ziemlih hoch an ihm aufgetürmt worden, um Feuchtigkeit und Kälte möglichſt vollkommen von Mutter und Kindern abzuhalten.“ Die 4—5 Eiex, die auh in den Hochalpen bereits gegen Ende April vollzählig zu ſein pflegen, ſind 44 mm lang, 29 mm di> und auf weißlihem oder ſ{<mußig graugelbem Grunde mit hellbraunen Fle>en und Punkten gezeihnet. Wie lange die Brutzeit währt, weiß man niht. Wahrſcheinlich brütet das Weibchen allein, während beide Eltern unter großem Geſchreie und Gelärme das ſchwere Geſchäft der Auſfütterung ihrer Kinder teilen. Legtere verlaſſen das Neſt gegen Ende Juni, werden aber no< längere Zeit von ihren Eltern geleitet und unterrichtet.

Auch während der Brutzeit leben die Alpenkrähen in derſelben engen Verbindung wie in den übrigen Monaten des Jahres. Sie ſind geſellſchaftliche Vögel im vollen Sinne des Wortes. Ganz ohne Neckereien geht es freilich nicht ab, und möglicherweiſe beſtehlen ſih au< die Genoſſen eines Verbandes nah beſtem Können und Vermögen; dies aber iſt

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