Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Buntſpecht: Nüßlichkeit. Fortpflanzung. Gefangenleben. 619

Eſpe, Pappel oder Weide ſeine Neſthöhle zu bemerken. Dieſe befindet ſi faſt ſtets in beträchtlicher Höhe, in der Regel 10 m und höher, ſeltener niedriger über dem Boden. Das Eingangslo< zum Neſte iſt ſo klein, daß der Vogel eben hinein- und herauskriechen kann, die innere Höhlung, von der unteren Seite des Einganges gemeſſen gewöhnlich etwa 30 cm tief bei 15 ecm im Durchmeſſer; die Neſtkammer iſt inwendig ebenſo glatt aus gearbeitet wie die anderer Spechte und unten ebenfalls mit feinen Spänen belegt. Vor der Paarung geht es ſehr lebhaft zu; denn gewöhnli<h werben zwei oder mehrere Männchen um ein Weibchen. „Sie ſ{hwirren“, erzählt mein Vater, „hoh über den Bäumen weg und fliegen oft im Kreiſe herum. Hat eines das Fliegen ſatt, ſo ſet es ſih auf einen dürren Aſt und ſ{nurrt jenem zum Poſſen. Dies bemerkt man deutli daran, daß, ſobald ein Männchen aufgehört hat, das andere anfängt. So währt das Spiel ſtundenlang fort. Erblickt »ein Buntſpecht während dieſer Zeit das Weibchen, das ſih immer in der Nähe aufhält ſo ver: läßt er ſeinen Plag ſogleich und fliegt ihm nah. Beide jagen ſi<h dann herum und ſchreien ſehr ſtart „fäd käd fäd und „fid fid“. Hört das der andere Specht, ſo kommt auch ex herbei, und dann wird das Geſchrei no< ärger; beide verfolgen das Weibchen oder beißen einander. Dieſes Spiel dauert bis 7, höchſtens 8 Uhr morgens und wird ſo lange getrieben, bis ein Männchen den Sieg errungen und das andere vollkommen vertrieben hat.“ Das Gelege beſteht aus 4—5, ſelten 6, kleinen, längli<h geſtalteten Eiern, die ſehr zartſchalig, feinkörnig und glänzendweiß von Farbe ſind. Beide Gatten brüten abwechſelnd, zeitigen die Eier in 14—16 Tagen und füttern die anfangs höchſt unbehilflihen, häßlichen, weil unförmlichen Jungen mit Aufopferung groß. Sie lieben ihre Brut ungemein, ſchreien ängſtlich, wenn ſie bedroht wird, und weichen niht vom Neſte. Auch nah dem Ausfliegen führen und füttern ſie ihre Kinder lange Zeit, bis dieſe wirklich ſelbſtändig geworden und im ſtande ſind, ſi< ohne jeglihe Anleitung ihre Nahrung zu erwerben.

Gefangene Buntſpechte ſind höchſt unterhaltend. Es iſt niht ſ{<wer, ſie an ein Erſaßfutter zu gewöhnen. Jh habe ſie bei gewöhnlichem Droſſelfutter monatelang erhalten. Sie vertragen ſi<h ſehr gut mit dem verſchiedenſten Kleingeflügel, das man zu ihnen bringt, niht aber mit anderen ihrer Art. Denn ihre Unverträglichkeit ihre Zank: und Raufſucht bekunden ſi<h ſhon in früheſter Fugend. „Geſchwiſter“, ſo ſchreibt mir Liebe, „die tags zuvor aus der Neſthöhle genommen ſind und no< niht ordentlich fliegen können, fallen, wenn ſie zugleih an den Kleidern ihres Pflegers hängen, {hon mit ſolher Wut übereinander her, daß man ſie kaum ſchnell genug trennen kann, um ſ{<limme Verwundungen, namentli<h am Kopfe oder an der Zunge, zu verhüten. Abgeſehen von dieſer Zankſucht erfreuen ſie jeden ihrer wohlwollenden Pfleger dur die Anmut und Raſtloſigkeit ihrer Bewegung, dur thre muntere, helle Stimme und ihr ſ{<mu>es Ausfehen.“

Liebe hat mir ſeiner Zeit zu gunſten meines Buches „Gefangene Vögel““ eine ſo köſtliche Schilderung des Gefangenlebens unſeres Spechtes entworfen, daß ih mir niht verſagen kann, ſie an dieſer Stelle zu wiederholen. „Der Rotſpecht iſt ein prächtiger Geſelle, der ſich dem Menſchen ebenſo anſchließt wie die höher ſtehenden Singvögel. Hatte doh mein Großvater einen frei lebenden allmählich bei Gelegenheit der Meiſenfütterung ſo an ſein Fenſter gewöhnt, daß er herbeiflog, wenn es geöffnet wurde, um Nüſſe und dergleichen, wenn auch niht aus der Hand, ſo doch aus einem vorgehaltenen Löffel wegzunehmen. Seinen Herrn lernt der jung aufgezogene Buntſpecht {nell kennen, ja, er erkennt ihn an ſeinem Tritte: mir ruft der, den ih gerade jeßt beſiße, ſhon, wenn ih die Treppe zu meinem Zimmer emporſteige, ein wiederholtes, frohes „Ki‘ zu und kommt mir dann noch vor dem Eintritte entgegen, ſoweit dies der Käfig geſtattet, indem er dabei ſeine prächtig geſärbten Teile an das Gitter drü>t und, ſobald ih näher trete, einen leiſen, kihernden Ton vernehmen läßt. Groß iſt die Freude, wenn ich ihm eine an der Spiße mit dem Meſſer etwas aufgeſchnittene