Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

630 Erſte Ordnung: Baumvögel; achtundzwanzigſte Familie: Spechte.

anderen vernommen. Manchmal verweilt er ſtundenlang auf einem Baume, beklettert ihn dann und wann auch ziemlih raſh von allen Seiten und ſucht ſill nah ſeiner Nahrung. Ungeachtet ſeines ſtärkeren Schnabels verurſacht er viel weniger Lärm dur Klopfen als andere Buntſpechte, arbeitet im Gegenteile ruhig und erwählt dazu ſoviel wie möglich ſehr vermorſchte Väume, {hält aber au< von ihnen nur die Rinde ab. Während des Winters begegnet man ihm nict ſelten in Gärten und Ortſchaften. Hier verweilt ex unter Umſtänden den ganzen Tag über und begnügt ſih, unbekümmert um den Menſchen, wenige Bäume oder He>en abzuſuhen. Während der Brutzeit trommelt er na<h Art anderer Buntſpechte; das hierdur< verurſachte Geräuſch iſ jedoch ebenfalls nicht laut und wird nicht auf fernhin gehört. Seine Nahrung beſteht aus\{<ließli< in Kerbtieren. Um einige Tage früher als der Schwarzſpecht, meiſt ſhon Anfang April, ſchreitet er zum Niſten, und Mitte Mai verlaſſen die Jungen das Neſt. Leßteres legt er in einem ſehr vermorſhten Baume an, mit Vorliebe in Birken, Eſchen, Ulmen, ſelten in Eichen, weitaus in den meiſten Fällen im Stamme, ungefähr 4—6 m über dem Boden. Seine Vorliebe für verrottete Bäume iſt ſo groß, daß er auch ſolche erwählt, welche nur no< durch die Rinde zuſammengehalten werden. Mix ſelbſt begegnete es, daß einer von ihnen, der ein Neſt mit Fungen enthielt und ſhon einige Jahre zum Niſten benußt worden war, in buchſtäblichem Sinne des Wortes in Stücke zerbrach, als ih daran ſchüttelte. Ein geübter Beobachter kann das Neſt des Weißſpechtes nicht allein an den darunter liegenden verhältnismäßig großen Spänen, ſondern auch an dem kreisrunden Eingangsloche erkennen, während dieſes bei den übrigen Arten bekanntlih länglihrund zu ſein pflegt. Die Bruthöhle iſt geräumiger als die des Buntſpechtes, zuweilen ſo weit und tief wie die des Grünſpehtes. Die gewöhnliche Anzahl des Geleges bilden 3 Eier; ih kenne nur ein einziges Beiſpiel, daß auh 4 in einem Neſte gefunden wurden. Die Eier ſind denen des Buntſpechtes zum Verwechſeln ähnli<h, ändern aber hinſichtlih der Form vielfah ab, indem einzelne ‘eine ſehr verlängerte, andere ſehr rundlihe Geſtalt haben.“

Unter den übrigen Beobachtungen, die über den Weißſpecht veröffentlicht worden ſind, mögen noch folgende erwähnt ſein. Nilſſon, der mit Taczanowski darin übereinſtimmt, daß unſer Vogel Wälder mit ſehr vermorſhten Bäumen anderen bevorzuge, ſtellt das Vortommen des Weißſpechtes auh in Nadelwaldungen feſt, bemerkt, daß ex nicht beſonders ſ<heu ſei und an den Bäumen regelmäßig die oberen Teile abſuche, im Sommer wie üblich paarweiſe gefunden, im Winter dagegen auh wohl in Familien beobachtet werde. Collett berichtet, daß man ihn in jedem Herbſte in Dohnenſtiegen fange, womit bewieſen wird, daß er au< Pflanzennahrung niht gänzlih verſ<hmäht. Altum endlich gibt höchſt beahtenswerte Mitteilungen über ſein Brüten in Deutſchland. Man kannte bis dahin zwei Fälle, daß ſih der Weißſpecht in unſerem Vaterlande und zwar in der Gegend von München und in Schleſien fortgepflanzt habe, erfuhr aber troßdem mit einiger Überraſchung, daß derartige Fälle, nah Altums Meinung wenigſtens, nicht ganz ſo. ſelten ſein dürften. Wie der leßtgenannte Forſcher glaubt, brütêt er in der Mark vielleicht ſchon ſeit einer langen Reihe von Jahren. Ein Weibchen aus der Sammlung der Forſtſchule von Eber3walde wurde während der Brutzeit im Lieper Forſte erlegt, ein Männchen 1847 im Funi geſchoſſen. Einen ſicheren Beweis des Brütens erhielt Altum jedo< erſt am 29. Mai 1872 und zwar dadurch, daß ihm Forſtkandidat Heſſe ein altes Männchen in abgetragenem Kleide brachte, das er tags zuvor im Lieper Reviere erlegt hatte, während es mit dem Füttern ſeines Jungen beſchäftigt war. Auf dringendes Erſuchen um Erlegung des Jungen wurde dieſes am 1. Funi erlegt. Das deutſche Bürgerrecht des Weißſpechtes kann alſo nach dieſem nicht mehr beſtritten werden.