Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Honiganzeiger. — Kolibris: Allgemeines. 659

Das Kleinvogelgeſ<le<t der Shwirrvögel (Macrochires) umfaßt zwei ſih äußerli wenig ähnelnde Familien, die Segler und Kolibris, unter welchen wir lebteren die höhere Entwielungsſtufe zuſprechen müſſen. Die geringen Übereinſtimmungen in Bau und Lebensweiſe beider werden ihre Einzeldarſtellungen erſihtlih machen.

„Unter allen belebten Weſen iſt der Kolibri das ſchönſte der Geſtalt, das präqhtigſte der Färbung nah. Edelſteine und Metalle, denen unſere Kunſt ihren Glanz gibt, laſſen ſi mit dieſen Kleinodien der Natur niht vergleihen. JFhr Meiſterſtück iſt dieſer kleine Vogel. Jhn hat ſie mit allen Gaben überſchüttet, welche den übrigen Vögeln nur vereinzelt beſchieden worden ſind. Leichtigkeit, Schnelle, Gewandtheit, Anmut und reicher Shmu>: alles iſt dieſem ihrem kleinen Lieblinge zu teil geworden. Der Smaragd, der Rubin, der Topas ſchimmern auf ſeinem Gewande, das er nie mit dem Staube der Erde beſhmußt; denn ſein ganzes ätheriſches Leben hindur< berührt er kaum auf Augenbli>e den Boden. Er iſt ſtets in der Luft, von Blume zu Blume gaukelnd, deren Friſche und deren Glanz ihm eigen ift und deren Nektar er trinkt.

„Der Kolibri bewohnt nur die Himmelsſtriche, wo Blumen ſi< immerdar erneuern; denn diejenigen Arten ſeiner Familie, welche des Sommers bis in die gemäßigten Gürtel tommen, bleiben daſelbſt nur kurze Zeit. Sie ſcheinen der Sonne zu folgen, mit ihr vorund rü>wärts zu gehen und auf Zephyrflügeln im Gefolge eines ewigen Frühlings zu wandeln.“

So ſchildert Buffon in ſeiner maleriſhen Weiſe; aber au< alle nah ihm folgenden Naturforſcher, und ſelbſt die ernſteſten unter ihnen, ſtimmen in die Bewunderung dieſer Prachtvögel ein. „Wen gäbe es wohl“, fragt Audubon, „der niht bewundernd ſtill ſtehen ſollte, wenn er eins dieſer lieblichen kleinen Geſchöpfe erbli>t, wenn es ſ{hwirrend dur die Luſt ſchießt, ſi in ihr wie dur< Zauber feſthält oder von Blume zu Blume gleitet, glänzend, als wäre es ſelbſt nur ein Stück Regenbogen, das ſo lieblich iſt wie das Licht ſelber?“ — „Der Kolibri“, meint Waterton, „iſt der wahre Paradiesvogel. Man ſehe ihn durc die Luft ſchießen mit der Schnelligkeit des Gedankens. FJegt iſt er eine Armeslänge vor deinem Geſichte, im Nu iſt er verſ<wunden, und einen Augenbli> ſpäter gaufelt er wieder um Blumen und Blüten. Jeßt gleicht er einem Rubin, jeßt einem Topas, bald darauf einem Esmerald und bald wiederum funkelndem Golde.“ — „Es gibt feine ſchöner gefärbte, zierlicher gebaute und zahlreihere Vogelfamilie auf der Erde“, ſagt Burmeiſter, „als dieſe in jeder Hinſicht merkwürdigſte und eigentümlichſte unter den amerikaniſchen Vogelgeſtalten. Man muß die wundervollen Geſchöpfe lebend in ihrem Vaterlande geſehen haben, um den ganzen Liebreiz ihrer Natur vollſtändig bewundern zu fönnen.“

Die Größe der Kolibris (Trochilidae) ſ<wankt in weiten Grenzen; denn einige kommen kleinen Bienenfreſſern an Leibesumfang glei, andere ſind kaum größer als eine Hummel. Der Leib iſt in den meiſten Fällen geſtre>t oder ſcheint es wenigſtens zu ſein, weil der Schwanz oft bedeutende Länge hat; bei denjenigen Arten aber, welche nur einen ſtummelhaften Schwanz beſigen, fällt es ſofort in die Augen, daß der Leibesbau ſehr gedrungen und fräftig genannt werden muß. Der Schnabel iſt pfriemenförmig gebaut, dünn, ſlank, fein zugeſpißbt, gerade oder ſanft gebogen, bald viel länger, bald nur ebenſo lang wie der Kopf, mitunter faſt von der Länge des Numpfes, ſelten noch länger, ſein Überzug eine feine, lederartige Hornſcheide, die Spige meiſt gerade, der Rand einfa, mitunter jene etwas hafkig und dieſer am vorderen Ende fein ſägenartig gekerbt. Nach innen ſind die Schnabelhälften tief ausgehöhlt; der Oberſchnabel umfaßt den unteren und bildet mit ihm

428