Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Gänſegeier: Weſen. Nahrung. Fortpflanzung. 453

bildend, zum Fliegen ſelbſtverſtändlich unfähig, wirbelnd zur Erde herabſauſten. Nicht einmal der Sturz auf den Boden änderte ihre Wut; ſie ſeßten auch hier den Kampf fort und ſchienen die Außenwelt ſo vollſtändig vergeſſen zu haben, daß ſih ein in ihrer Nähe befindlicher Schäfer verleiten ließ, ſie fangen zu wollen. Wirklich brachten ſie erſt mehrere wohlgezielte Hiebe mittels eines langen Sto>es zur Beſinnung und zur Überzeugung, daß es doh wohl beſſer ſei, für jeßt den Zweifampf aufzuſchieben. Dieſes thaten ſie denn endlich auh und eilten na< verſchiedenen Richtungen hin auseinander.“

Beim Wegräumen eines Aaſes freſſen ſie vorzugsweiſe die Leibeshöhlen der toten Tiere aus. Einige Viſſe reißen ein rundes Loch in die Bauchwand, und in dieſes nun ſte>en ſie den langen Hals ſo tief hinein, wie ſie können. Die edleren Eingeweide werden hinabgewürgt, ohne daß ſie den Kopf aus der Höhle hervorziehen, die Gedärme aber erſt an das Tageslicht gefördert, durh heftige Bewegungen nah rü>wärts herausgezerrt, dann mit einem Biſſe dur<ſ<hnitten und nun ſtückweiſe hinabgeſchlungen. Es verſteht ſih ganz von ſelbſt, daß bei derartiger Arbeit Kopf und Hals mit Vlut und Schleim überkleiſtert werden und die Gänſegeier nah dem Schmauſe ein wahrhaft abſhre>endes Bild gewähren. Ob auch ſie über kranke oder verendende Tiere herfallen, laſſe ih dahingeſtellt; die Araber klagen ſie derartiger Übelthaten an, und auch die Hirten der ſüdungariſhen Gebirge erzählen dasſelbe. Freiherr von Kalbermatten fand in einem Horſte die Reſte einer noh ganz friſchen jungen Gans.

Nach meinen Beobachtungen erſcheinen ſie erſt in den Vormittagsſtunden in ihrem Jagdgebiete und fallen vorzugsweiſe um die Mittagszeit auf das Aas. Während ihrer Brutzeit ſcheinen ſie ſi< mehr anſtrengen zu müſſen; wenigſtens ſchreibt mir Graf Läzár, der ſie zur Zeit beobachtete, daß ſie ſih, einer na< dem anderen, bald nah Sonnenuntergang erheben und zunächſt ihren Felſenvorſprung wohl eine Stunde lang umkreiſen. „Sie ſteigen nun immer höher und ziehen ſtets ſich erweiternde Kreiſe, bis ſie ſih einzeln in der Ferne verlieren. Gegen Mittag kommen ſie wieder zurü>/ ebenfalls einzeln, ſammeln ſi<h bald in der Nähe ihrer Anſiedelung und umfliegen nun wieder eine Zeitlang die Felſenwand. Dann läßt ſih einer nah dem anderen auf die Felſenkanten und Vorſprünge nieder und verträumt ein paar Stunden in träger Ruhe. Nachmittags, zwiſchen 2 und 3 Uhx, fliegen ſie unter lautem Geräuſche no<hmals empor, umſhweben einigemal ihre Wohnung und ziehen dann zum zweiten Male auf Aas aus, niemals jedo< auf längere Zeit. Schon mehrere Stunden vor Sonnenuntergang ſind ſie wieder an ihren Wohnſißen angelangt.“

Über das Brutgeſchäft des Gänſegeiers haben Baldamus, Krüper, Simpſon, von Heuglin und mein Bruder berichtet. Die Beobachtungen des leßteren enthalten im weſentlichen alles, was bisher feſtgeſtellt wurde. „Die Brutzeit des Gänſegeiers fällt in Spanien in die lette Hälfte des Februar oder in den Anfang des März. Der Horſt wird gewöhnli<h in einer Felſenhöhle oder wenigſtens unter einem überhängenden Felſen errichtet und beſteht aus einer niedrigen Schicht niht ſehr ſtarker Reiſer. Jn dieſen Horſt legt das Weibchen 1 weißes Ei von der Größe eines Gänſeeies, mit dider Schale, das es mit dem Männchen gemeinſchaftlih bebrütet und zwar ſo, daß das Männchen in der Regel während der Vormittags- und erſten Nahmittagsſtunden dem Brutgeſchäfte obliegt, das Weibchen dagegen den übrigen Teil des Tages im Neſte verweilt. Auf Bäumen horſtet der Gänſegeier nie. An einem günſtigen Brutplaße findet man immer mehrere Horſte in einer Entfernung von . etwa 100—200 Schritt voneinander. Zu bemerken iſt, daß die Niſtgeſellſhaften an ſolhen Felswänden keineswegs ausſchließli<h aus Geiern beſtehen, ſondern daß die Geier ruhig neben und unter ſi<h auh den Geieradler und Habichtsadler dulden, ja ſelbſt dem Schwarzſtorhe geſtatten, ſih unmittelbar neben ihrem Horſte anzuſiedeln