Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

472. Zehnte Drdnung: Stoßvögel; zweite Familie: Neuweltsgeier.

überall ein. Wo ein Tier gefallen iſt, laſſen ſie ſih zu 20, 30, 40 und mehr auf das tote Geſchöpf nieder, ha>en ihm die Augen aus und warten mit einer Sehnſucht, die unverkennbar in allen ihren Mienen ſi< ausdrü>t, auf den köſtlichen Augenbli> wo die unter den Einwirkungen der Sonne ſchnell im Körper gebildeten Gaſe die faulige Bauchdee ſprengen und den duftigen Fnhalt ihrem le>eren Gaumen darbieten werden. Ein furchtbares Gedränge entſteht, wenn endlich der langerſehnte Augenbli> eingetreten iſt. Jeder packt ein Stück der hevrvorquellenden Eingeweide; im Nu iſt das weiche, halb verfaulte Gedärme zerriſſen und hinuntergeſhlu>t. Dann ſizen die Geier vollgefreſſen und dicht aneinander gedrängt auf dem nächſten hohen Baume, unverwandt nach dem Aaſe ſpähend, bis es ſo weit faul und erweiht worden iſt, um weiter verzehrt werden zu können. Von Zeit zu Zeit läßt ſi ein gieriger, der beim erſten Jmbiß niht genug bekommen hat, auf den ausgeweideten Körper hinab, verſucht hier und da einzuhauen, zauſt an den Wundrändern und bahnt der um ſih greifenden Verweſung einen Weg. Sehen die anderen, daß ſein Unternehmen Erfolg hat, ſo fliegen ſie bald nah, haden und zerren an dem Körper herum und verzehren einen Teil nah dem anderen, bis die Knochen vollſtändig rein genagt ſind. Jn zwei Tagen ſind ſie fertig mit dem Geſchäfte, und wenn ſie nichts mehr zu finden wiſſen, ſo beteiligen ſih die Fliegen an der Ausführung der Arbeit.“ Übrigens gehen ſie auh friſches Fleiſh an, falls ſie es zu zerſtü>eln vermögen, und ebenſo ergreifen und erwürgen ſie, troß aller Behauptungen des Gegenteils, lebende Tiere. „Bei Tage“ ſagt A. von Humboldt, „ſtreifen die Nabengeier an den Ufern umher und kommen mitten in das Lager der Fndianer herein, um Eßbares zu entwenden. Meiſt aber bleibt ihnen, um ihren Hunger zu ſtillen, nichts übrig, als auf dem Lande oder im ſei<hten Waſſer junge, 18—20 cm lange Krokodile anzugreifen. Es iſt merkwürdig anzuſehen, wie ſ{hlau ſich die Éleinen Tiere eine Zeitlang gegen die Geier wehren. Sobald ſie eines anſihhtig werden, richten ſie ſih auf den Vorderfüßen auf, ſtre>en den Kopf aufwärts und reißen den Nachen weit auf. Fortwährend, wenn auch langſam, kehren ſie ſi<h dem Feinde zu und weiſen ihm die Zähne, die bei den eben ausgeſchlüpften Tieren ſehr lang und ſpißzig ſind. Oft, während ſo ein Geier die Aufmerkſamkeit des jungen Krokodils ganz in Anſpruch nimmt, benußt ein anderer die gute Gelegenheit zu einem unerwarteten Angriffe. Er ſtößt auf das Tier nieder, pa>t es am Halſe und fliegt damit hoh in die Luft. Wir konnten dieſem Kampfſpiele viele Vormittage lang zuſehen.“ FJhre Dreiſtigkeit und Unverſchämtheit wird Menſchen und Tieren läſtig. So bemerkt der Prinz von Wied, daß ſie aus allen Himmelsgegenden herbeiſtürzen, ſobald ein Shuß im Walde gefallen iſt. „Erlegten wir auf einem dicht beſchatteten Waldbache eine Ente oder au< nur einen kleinen Vogel, ſo waren ſie ſoglei<h da und beſeßten zu 8, 10 und mehreren die benahbarten Waldbäume und Äſte. Entfernte man ſi< nur einen Augenbli> ſo lag ſhon der geſchoſſene Vogel auf dem Tro>enen, um von ihnen verzehrt zu werden.“ Dem Jaguar ergeht es nicht anders als dem menſhlihen Jäger. „Bei Joval“/ erzählt Humboldt, „ſahen wir den größten Faguax, der uns je vorgekommen. Er lag im Schatten einer großen Mimoſe und hatte eben ein Waſſerſhwein erlegt; aber ſeine Beute no< niht aufgebrochen, nur eine ſeiner Taten lag darauf. Die Geier hatten ſi<h in Scharen verſammelt, die Reſte vom Mahle des „Tigers zu verzehren: Sie ergößten uns niht wenig durch den ſeltſamen Verein von Frechheit und Scheu. So wagten ſie ſih bis auf einen halben Meter an den Jaguar vor, aber bei deſſen leiſeſten Bewegungen wichen ſie zurü>. Um die Sitten dieſer Tiere mehr in der Nähe zu beobachten, beſtiegen wir unſer kleines Fahrzeug. Beim Geräuſche der Ruder erhob ſi< der Jaguar langſam, um ſih hinter den Büſchen des Ufers zu verbergen. Den Augenbli>, als er abzog, wollten ſih die Geier zu nuße machen, um das Waſſerſhwein zu verzehren; aber der Tiger machte troß der Nähe unſeres Fahrzeuges