Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Haus ſtor: Horſtſtätten. Anhänglichkeit. Fortpflanzung. 513

durch eine früher erhaltene Wunde reiſeunfähig geworden war. Genau dasſelbe habe i< in Afrika erfahren. Hier ſah ih zwei Störche, die in der Winterherberge zurückgeblieben waren, ließ beide erlegen und fand denſelben Grund für ihr Verweilen. E. von Homeyer verbürgt mir folgende, wahrhaft rührende Geſchichte. Von einem auf ſeinem Hauſe niſtenden Storchpaare wurde durch einen Schießjäger das Männchen erlegt. Fm nächſten Fahre erſcheint das Weibchen ohne Gatten auf dem alten Neſte, wird viel umworben, weiſt jedoch alle Freier mit wütend geführten Schnabelhieben ab, beſſert am Horſte wie in früheren Jahren und wahrt ſein Hausreht. Jm Herbſte zieht es mit den anderen weg, erſcheint im nächſten Frühjahre wieder und treibt es wie vorher. So verfährt es 11 Fahre nach: einander. Jm 12. Fahre wird ihm das Neſt dur<h ein anderes Paar abgenommen und es bleibt während des ganzen Sommers aus; als jedo< das Paar abgezogen, findet es ſih am Neſte ein, verweilt hier einige Tage und tritt dann erſt ſeine Neiſe an. Wie mein Gewährsmann ſpäter erfährt, hat es alle dieſe Sommer in der Nachbarſchaft, jedo<h 15 km vom Neſte entfernt, verbracht, offenbar aber das lettere ebenſo treu im Auge wie den erſten Gatten in ſeiner Erinnerung behalten. Unter dem Namen „Einſiedler“ war dieſe Störchin zuleßt in der ganzen Gegend bekannt geworden.

Vleibt das Paar ungeſtört, ſo beginnt es bald nah Ankunft mit der Ausbeſſerung des Horſtes, indem es neue Äſte und Reiſer herbeiträgt und über den alten mehr oder weniger verrotteten aufſchichtet, auh eine neue Neſtmulde herſtellt. Demzufolge nimmt der Horſt von Jahr zu Fahr an Höhe und Schwere zu, und dies kann ſo weit gehen, daß die Unterlage ihn niht mehr zu tragen vermag und der Menſch wiederum helfen muß. Der Bau ſelbſt gehört feineswegs zu den ausgezeihneten. Daumenſtarke Reiſer und Stäbe, Äſte, Dornen, Erdflumpen und Raſenſtü>e bilden die Grundlage, feineres Reiſig, Nohrhalme und Schilfblätter eine zweite Schicht, dürre Grasbüſchelhen, Miſt, Strohſtoppeln, Lumpen, Papierſtücke, Federn die eigentliche Neſtimulde. Alle Bauſtoffe werden von beiden Gatten im Schnabel herbeigetragen; das Weibchen iſt aber, wie gewöhnlih, der Baumeiſter. Beide arbeiten ſo eifrig, daß ein neues Neſt innerhalb 8 Tagen vollendet, die Ausbeſſerung aber ſhon in 2—8 Tagen geſchehen iſt. Sowie der Bau beginnt, regt ſih das Mißtrauen im Herzen der Beſizer, und einer von den Gatten pflegt regelmäßig Wache beim Neſte zu halten, während der andere ausfliegt, um Niſtſtoffe zu ſammeln. Dabei wird ſelbſtverſtändlih auf die mannigfaltigſte Weiſe, man möchte fagen in allen Ton- und Taktarten geklappert, überhaupt die Freude über das glü>lih gegründete oder wieder aufgepußte Heim deutlich kundgethan. Mitte oder Ende April legt die Störhin das erſte Ei, und wenn ſie zu den älteren gehört, im Verlaufe von wenigen Tagen die 3 oder 4 anderen hinterher. Die Geſtalt der leßteren, deren Längsdurchmeſſer 70 und deren Querdurhmeſſer 50 mm beträgt, iſt rein eiförmig, die Schale fein, glatt, die Farbe weiß, zuweilen etwas ins Grünliche oder Gelbliche ſpielend. Die Brutzeit währt 28—31 Tage. Beide Geſchlechter brüten abwechſelnd; dem Weibchen fällt jedoh der Hauptteil an dieſer Beſchäftigung zu. Dafür forgt der Storh wiederum für die Sicherheit ſeiner Gattin.

Sind die Jungen ausgeſchlüpft, fo verdoppelt ſih die Sorge der Eltern um die Brut und mit der Sorge auch die Wachſamkeit; denn niemals entfernen ſich beide zu gleicher Zeit von den Jungen. Anfänglich erhalten dieſe hauptſähli<h Gewürm der verſchiedenſten Art und Kerbtiere, Regenwürmer, Egel, Larven, Käfer, Heuſchre>en und dergleichen, ſpäter kräftigere Koſt. Sie werden niht geaßt, ſondern müſſen vom erſten Tage ihres Lebens an ſi bequemen, das ihnen vorgewürgte Futter ſelbſt aufzuleſen. Hierzu leiten die Alten ſie an, indem ſie die Kleinen am Schnabel pa>en und dieſen abwärts ziehen. Während des Vorwürgens verſchlingt, nah Schmidts Beobachtungen, der fütternde Alte beſtändig einen Teil der Aßung wieder, wohl um ihr eine gewiſſe Wärme zu verleihen oder zu erhalten. Die nötige Waſſermenge ſ{hleppen die Alten mit der Nahrung im Kehlſa>e herbei und ſpeien

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. FL 35