Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

574 Dritte Ordnung: Schilvkröten; fünfte Familie: Landſchildkröten.

der Eiſchale überraſcht. Jn ſolchem Falle erliegen ſie der Kälte ſelbſtverſtändlich weit leichter als die Alten, die, wenn ſie ſi< niht tief genug eingegraben haben, dur< den Froſt oft ebenfalls ſehr geſährdet werden. Die glü>lih ausgeſchlüpften Jungen vergraben ſich gleich: zeitig mit den Alten, in Pennſylvanien bereits Mitte Oktober, um gegen den 20. April wieder zu erſcheinen. Jhre Winterherbergen werden ſtets mit Geſchi> gewählt, nämlich immer in lo>erem Boden und auf einer den Nordwinden nicht ausgeſeßten Stelle gegraben.

Mühlenberg erzählt, daß die Doſenſchildkröte auh den Ratten und Schlangen nahſtelle, deshalb häufig gefangen gehalten und in Keller geſperrt werde, hier ſi< au<h jehr nüßlih erweiſe. Sie erhaſche dieſe Tiere, klemme ſie zwiſchen Rücken- und Bruſtpanzer und quetſche ſie zu Tode, um ſie dann in aller Behaglichkeit zu freſſen: die Erzählung beweiſt nihts weiter, als daß man dem guten Manne ein Kindermärchen aufgebunden hat. Wie es ſi thatſählih verhält, erfuhr Kay, als er eine Doſenſchildkröte in ſeinen Keller ſette, wohl um zu erkunden, ob die allgemein verbreitete Meinung, der Mühlenberg Worte geliehen, begründet ſei oder nicht: er fand, daß ſeine Schildkröte von den Natten aufgefreſſen worden war. Dagegen iſt es wohl begründet, daß ſie ſih als Hausgenoſſin dur< Aufzehren von Gewürm und Ungeziefer Verdienſte erwirbt und deshalb gern in Gefangenſchaſt gehalten wird. Hier verliert ſie ihre urſprüngliche Schüchternheit und wird ſ<hließli< ſo zahm, daß fie aus der Hand frißt. Sie nimmt verſchiedenartige Nahrung an, namentli<h Pilze, Salat, Kartoffeln, Obſt, Brot, Kerbtiere und Fleiſh. Eine Gefangene, die Reichenbach hielt, zeigte ſonderbaren Widerwillen gegen eine Griechiſche Schildkröte, mit welcher ſie zuſammenlebte. „Während ih ruhig arbeitete“, erzählt ex, „hörte ih oftmals ein Klopfen, wie die Schläge eines fleinen Hammers, ohne ſogleich die Urſache entde>en zu können. Jh bemerkte endlich, daß die kleine Doſenſchildkröte die große Griechiſche angriff, mit einer gewiſſen Wut auf ſie losſcritt, ſih in der Nähe ſo aufſtellte, daß ſie auf die Mitte des Seitenrandes der Gegnerin zuſteuerte, hier angelangt, den Kopf einzog, ſih auf den Vorderbeinen emporhob und aus der Entfernung von etwa 2 em nunmehr in der Weiſe, wie die römiſchen Mauerbrecher mit dem Vorderteile ihres Schildes auf den Mittelpunkt des Seitenrandes jener losſtieß und ihre Stöße zehn- bis zwölfmal wiederholte. Dieſes anziehende Schauſpiel wiederholte ſih tagtäglih, und viele meiner Freunde haben es mit angeſehen, bis die kleine, vielleiht aus Ärger über die Erfolgloſigkeit ihrer Bemühungen, ſtarb.“ Vermutlih waren beide Tiere Männchen.

Gegen Eintritt des Winters muß man auch den Doſenſchildkröten Gelegenheit geben, ſi in das Erdreich eingraben zu können; in dieſer Weiſe überwintert man ſie am ſicherſten. Sie erreichen nah J. Schne> ein Alter von wenigſtens 60, no< Hodſon von 62 Fahren.

Alle warmen Länder der Erde, mit alleiniger Ausnahme von Auſtralien und Neuguinea, beherbergen echte, das Waſſer meidende Landſchildkröten, Afrika, ſoviel bis jet befannt, die meiſten, Europa nur zwei. Sie bewohnen zwar auh waldige oder dicht mit Pflanzen bewachſene Orte, mit Vorliebe aber doch Steppen und Wüſten, und führen hier ein beſchauliches Stillleben. Wie alle Kriechtiere der Wärme im höchſten Grade zugethan, zeigen auh ſie ſich in den gemäßigten Gürteln nux in den heißen Monaten des Fahres und verbringen die kühlere Zeit winterſchlafend in ſelbſtgegrabenen Löchern unter der Erde. Genau dasſelbe findet in den Gleicherländern ſtatt, jedoch während der tro>enſten Monate des Jahres. „Während der großen Sonnenhiße und Tro>enheit“, ſagt A. von Humboldt, „ſte>en dieſe Tiere, ohne zu freſſen, unter Steinen und in Löchern, die ſie ſich ſelbſt gegraben haben. Erſt wenn ſie nah dem erſten Regen ſpüren, daß die Erde feucht wird, kommen ſie aus ihrem Verſte>e hervor und fangen wieder an Nahrung zu ſuchen.“