Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

602 Dritte Ordnung: Schildkröten; ſe<ſte Familie: Meerſchildkröten.

mit der Zeit ſih auch derartig abquält, daß ihre Augen mit Blut unterlaufen und weit aus dem Kopfe heraustreten. Nicht allzu ſelten geſchieht es, daß die Fänger grauſam genug ſind, mehr Schildkröten umzuwenden, als ſie gebrauchen können, und einzelne von ihnen in der hilfloſen Lage liegen und elendiglih verſhmachten laſſen. Sehr große und [{<were werden mit Hebebäumen umgewälzt, viele mit Hilfe von Neßen gefangen, andere mit der Harpune erbeutet. Audubon lernte einen Schildkrötenfänger kennen, der im Laufe eines Zahres niht weniger als 800 Stü> „geſichert“ hatte: faſt ausſ<ließli<h fortpflanzungsfähige Weibchen. Man jagt immer während der Naht und ſchreitet am nächſten Morgen zum Einſammeln der Gefangenen, die nun zunächſt entweder in eigens für ſie bereitete Behälter oder auf die Schiffe gebraht und von hier aus verſandt werden. Jn den Zwingern, die ſelbſtverſtändlih mit Seewaſſer angefüllte Becken ſind, ſieht man ſie langſam umherſ{wimmen und oft ihrer 3 oder 4 ſi übereinander lagern. Auf tro>enem Boden \rei gelaſſen, kriechen ſie lebhaft umher und geben ihre Unbehaglichkeit von Zeit zu Zeit durch S{nauben zu erkennen. An das Freſſen gehen die Gefangenen ſelten, magern deshalb bald ab und verlieren an Wert. Diejenigen, wel<he man auf europäiſche Märkte bringt, fommen meiſt aus Weſtindien, namentli<h von Jamaika. Man legt ſie an einer paſſenden Stelle des Verde>es auf den Rüen, befeſtigt ſie mit Stri>en, breitet ein Tuch über ſie und begießt dieſes ſo oft mit Seewaſſer, daß es beſtändig naß oder wenigſtens feu<t bleibt, ſte> den armen Shelmen ein Stüc mit Seewaſſer getränktes Weißbrot in das Maul und vertraut im übrigen auf ihre außerordentliche Lebenszähigkeit. Jn den europäiſchen Seeſtädten hält man ſie in großen Kübeln, die alle 2 —8 Tage einmal mit Waſſer angefüllt werden, ſchlachtet ſie dann, indem man ihnen den Kopf abha>t, und hängt ſie nun 1 oder 2 Tage lang ſo auf, daß alles Blut ablaufen fann. Erſt dann hält man das Fleiſch für geeignet zur Bereitung von köſtlihen Suppen.

Auf Aſcenſion werden, wie O. Krümmel berichtet, die gefangenen Schildkröten in Teichen aufbewahrt, die am Strande ſo angelegt ſind, daß ſie mit dem Meere in Verbindung ſtehen; am Ende der Fangzeit, im Mai, befinden ſich man<hmal Hunderte dieſer Tiere in den Teichen. „Schildkrötenfleiſh“, ſo fährt Krümmel fort, „erſcheint zweimal wöchentlih auf den Speiſetiſhen der Garniſon, und der Kommandant pflegt jedem hier vorſprechenden Kriegsſchiffe eins oder mehrere dieſer Tiere zum Geſchenk zu machen. Uns hatte Kapitän N. gleichfalls zwei davon ſhon am Vormittage an Bord geſchi>t.“

Jn Jndien, wo dieſe Art aber, nah G. A. Boulengers Bemerkungen, ziemlich ſelten iſt, und insbeſondere auf Ceylon macht man weniger Umſtände mit den für die Küche beſtimmten Seeſchildkröten. Ein äußerſt widerwärtiger Anbli> bietet ſich, laut Sir Emerſon Tennent, auf den Märkten von Ceylon dem Beſucher dar. Man ſieht hier die gefangenen Schildkröten in unglaublicher Weiſe quälen. Wahrſcheinlih wünſchen die Käufer das Fleiſch ſo friſh wie mögli zu erhalten oder wollen ſi< die Verkäufer beſondere Mühe niht mit dem Shlachten geben ; man trennt alſo einfach den Bruſtpanzer des lebenden Tieres ab und ſchneidet dem Kaufluſtigen das von ihm gewünſchte Fleiſchſtü> aus dem Leibe des Opfers heraus. Bei der bekannten Lebenszähigkeit der Schildkröten ſieht dann der entſeßte Europäer, wie das geſchundene Tier die Augen verdreht, das Maul langſam öffnet und ſ{hließt, und wie das Herz, das gewöhnlich zuleßt gefordert wird, pulſiert.

Zu gewiſſen Zeiten wird hier das Fleiſch dieſer Schildkröte wegen ſeiner ſhädlichen, ja giftigen Wirkung gemieden. Zu Pantura im Süden von Colombo wurden 28 Leute, die im Oktober des Jahres 1840 Schildkrötenfleiſch gegeſſen hatten, bald nah dem Genuſſe {wer frank, und 18 von ihnen ſtarben in der nächſten Nacht. Die Überlebenden verſicherten, daß ſih das Fleiſh anſcheinend nur durch größere Fettigkeit von unſchädlihem unterſchieden habe. Worin die Urſache der Schädlichkeit liegt, iſt no< niht ermittelt worden.