Charakterologie

166 Aus der medizinijchen Pjychologie

hinter den jcheinbar einzelnen Motiven immer eine ganze Sülle von Motiven jteht. Darüber täujcht leicht hinweg, daß uns vonihnen nur ein fein iter Teilbewu$t wird. Die Sorderung, Pjychologie bzw. Charafterologie auf diebewukten Erjheinungen einzujchränten, ijt heute allgemein aufgegeben.

Eine praftiihe Anwendung: es ijt jtets verfehlt, bei Handlungen von Menjchen alternativ zu fragen, ob der Betreffende aus diefem oder jenem Motiv heraus gehandelt habe. Derjchiedenartigite und vor allem verjchiedenwertigjte Motive (im ethijchen Sinne) jchließen einander nicht aus. Der ganze jeeliihe Grund jchließt fich gewiljermaßen, indem er fich zu einer Handlung ausprägt, zufammen, und es ijt gleidy näher zu betrachten, nach welden Gelihtspunften dann das Bewußtjein von allen Motiven eines oder höchitens zwei auswählt. Es fann fehr wohl eine Handlung aus „echter Tiebe zur Sache“ gejchehen, die dennoch ihre Stoßfraft erjt aus jogenannten „niederen“ Trieben erhält.

Zu diefem Thema hat übrigens M.Scheler einen Beitrag von philojophijcher Seite geliefert: er lehrte folgende Zweiteilung: die „Kraft“, das eigentlich Treibende fommt immer aus den niederen Schichten. Die höheren, der Geilt, jagen nur Ja oder Nein, hemmen oder enthemmen, bzw. geben jie durch die Ideen (deren Produktion ihre Sache ijt) Richtungen, die aber nur durch die nie= deren Schichten zu Wirflichfeiten werden fönnen. „Der Geiltijt an fi) ohnmädtig”, lautete die viel befämpfte Thejfe Schelers — befämpft deshalb, weil jie, philojopbijch zu Ende gedadıt, für den Aufbau der Welt ein Derhältnis lehrt, in dem Gott zum völlig Fraftlojen Wejen wird. — Dies negative Präditat hebt jich aller= dings wieder auf. Die Welt mit ihrer Kraft wird durch den Geijt gelenft. In diefer hödhiten, reinjten „Untätigfeit” Gottes klingt Arijtoteles an: Gott bewegt die Welt, wie der Geliebte den Liebenden bewegt. Und aud) jonjt findet man gerade in den tief religiöjen Syjtemen großer Denfer jehr viel dieje „Arbeitsteilung“, die keinesfalls einfad) als Zuweijung negativer Prädifate an das Hödhjte gedeutet werden darf. (Die Welt führt ja gerade durch dieje Teilung zum Siege des Höheren. — Man denfe audy an Hegels „Lijt der Idee”, die darin bejtebt, dab lich die höhere Idee in der Gejdichte oft der niederen Injtinkte der Menjchen bedient, um fich durchzufegen.) — Im Aufbau der Seele jpielt dies Derhältnis jicher eine große Rolle, wenn es aud) die Bilder des bloßen „Weichenitellens“, „Schleujfen-Öffnens und =Schließens” zu einfady darjtellen. Es fannı nicht be= zweifelt werden, dab eine echte „Kraft“ eingejeßt werden muß, um die niederen Triebe zur „Sublimierung“ zu zwingen, — um ie an der direkten Erfüllung ihrer niederen Ziele zu hindern.

Wie dies Derhältnis aber auch genauer und bejjer formuliert werden mag, jedenfalls fan heute als erwiejen gelten, daß diejenige Jdee allein jiegt (in der Gejchichte wie im Einzelleben der Seele), der es gelingt, die „tiefiten“,

nn