Die Physiognomie des Menschen

20. Der Gelassene.

Sanftmütige Gelassenheit steht, wie gesagt, zwischen Jähzorn und Stumpfheit. Gelassen ist, wer bei rechter Gelegenheit in passender Weise zornig wird, sich ohne Verwirrung von der Vernunft leiten läßt, mehr zu Verzeihung als zu Rache neigt und besonnen mit ruhigem Gleichmut Scimpf und Schande erträgt. Natürliche Sanftmut soll aus feuchter, warmer Körpermischung entstehen. Dem Zornigen brodelt das Herzblut; bei dem Gelassenen wird es von der Feuchtigkeit niedergehalten. Aristoteles, Polemon und Adamantius schildern seine Gestalt folgendermaßen.

Der Gelassene:

Ähnelt dem Starken und Tapferen. Viel feuchtes, weiches Fleisch. Wohlproportionierte Größenverhältnisse. Krumme Gestalt. Fester Blick. Langsame Bewegungen. Schwere, weiche, langsame Stimme.

Der Sanftmütige, den Weibern, Hirschen und Hasen vergleichbar:

Goldgelbe, glatte, schöne Haare. Brauen gestreckt. Schlaffe Sprache. Schwere, weiche Stimme. Augen schwarz oder rotgelb mit ungleichen Punkten. 21. Der Unmäßige.

Unmäßigkeit gehört ins Gebiet der körperlichen und seelischen Lüste. Seelische Lüste sind z. B. Ehrgeiz, Lernbegierde usw. Wir wollen hier nur von den körperlichen Lüsten reden, und zwar lediglich von den Sinnenlüsten der Berührung und des Geschmackes, die verwerflich und tierisch sind. Unmäßig ist, wer sich mehr als gebührlich oder in unziemlicher Weise belustigt oder verbotenen Genüssen frönt und die glückselig preist, die in schändlicher Wollust leben. Mit Unmäßigkeit gehen Schamlosigkeit, Nachlässigkeit und Leichtsinn Hand in Hand. Zunächst beschreiben

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