Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Napoleon's Flucht. 321

ſiſche Schriftſteller, namentlich ſolche, die Napoleon's ganzes Regierungs= ſyſtem und mit Recht verwerfen, haben ſi von der Abneigung gegen ihn ſo weit fortreißen laſſen, ſein militairiſches Genie in dem Feldzuge von 1815 niht mehr auf der früheren Höhe erkennen zu wollen. Aber eine unpar= teiſche Betrachtung ſeiner Anordnungen gewährt die Ueberzeugung, daß er Alles gethan, was unter den gegebenen Umſtänden möglich war, und daß nur ſeine Unterfeldherren, namentlih Ney und Grouchy, aber niht er ſih Fehler haben zu Schulden kommen laſſen. Er verlor ſeine lette Schlacht wie einſ Hannibal, den er für den erſten Feldherrn des Alter= thums hielt, die ſeinige, aber ſein Ruhm iſ dadurch eben ſo wenig wie der jenes alten Helden vermindert worden. Ein wirklich großer Name iſt wie die Sonne, die von Wolken verhüllt werden kann, deren Strahlen aber immer wieder durchbrechen.

So überſ<wängli<h kühn ſi< au<h Napoleon bei der Landung in Frankreich gezeigt , ſo unbeſchreiblih unerſhro>en er dem Kampfe gegen ganz Europa entgegengegangen, die gänzliche Niederlage, nachdem ihm der Sieg ſchon nahe getreten, der Verluſt ſeiner ganzen Macht an einem einzigen Tage ſchmetterte ihn für den Augenbli> nieder, und griff ſeine ohnedies damals geſ<wächte Geſundheit an. Er ritt, in düſteres Schweiz gen verſunken, von einigen ſeiner Getreuen, wie Drouot , Bertrand, Gourgaud, umgeben, auf ſeinem weißen perſiſchen Pferde, ihm wegen ſeiner Ruhe im Feuer werth, durch die in wilder Unordnung hinſtürzenden Maſſen der Flüchtigen, von denen er hier und da bei dem hellen Mond= licht erkannt wurde. Die Soldaten zeigten ihn ſich dann gegenſeitig mit dem leiſen Ruf: „Siehe da! Der Kaiſer! Er iſt nicht todt!“ — Sie glaubten , daß er den Verluſt der Schlacht nicht überlebt hätte. Seine Niederlage war ſo vollſtändig geweſen, daß niht nur ſeine Pläne, Karten, Papiere, ſondern ſelbſt ſein Hut, ſeine Orden, und bis auf die kai= ſerlichen Feiexrkleider und andere Zeichen ſeiner Würde, mit denen er in Brüſſel ſi< dem Volke hatte zeigen wollen, als Trophäen in die Hände der verfolgenden Preußen gefallen waren.

Zn einem eine Stunde von Charleroi jenſeit der Sambre liegenden Dorfwirthshauſe hielt er einen Augenbli> an, und nahm ſeit 24 Stunden die erſte Nahrung zu ſih. Die nac<ſezenden Preußen ließen ihm jedo< keine Ruhe. Dort ſtieg er in einen ſhle<ten Wagen und traf in Phi lippeville Maret, Herzog von Baſſano , und einige andere ſeiner erſten Diener an. Bei ihrem Anbli>, die ſo lange Zeugen ſeiner Größe gez weſen, blieb er ſeiner inneren Bewegung nicht Meiſter und brac in einen Strom von Thränen aus, ein Zeichen menſchliher S<hwäche, das ihn in

Be>er, Weltgeſchichte. 8. Aufl, XVI. N