Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871
312 Neueſte Geſchichte. 2, Zeitraum.
der erſte Schre>en über die Landung von Elba aus vorüber war, die Ueberzeugung eingeflößt, daß dieſe wiedererrungene Herrſchaft des großen Geächteten von keiner langen Dauer ſein würde. Es kamen allmälig nicht nur viele politiſche Notabilitäten in der alten Stadt an, in der Kaiſer Karl V. Wiege geſtanden , ſondern es bildete ſih au< aus den herbeigeeilten Ueberreſten der in Folge des 20. März aufgelöſten königlichen Garden ein Korps von einigen tauſend Mann, das unter dem Herzog von Berry und dem Marſchall Marmont in und um Aloſt lagerte. Der Baron Louis, ein Freund Talleyrand's, bei Napoleon's Rückkehr Finanzminiſter, war dem Könige treu geblieben, und hatte aus dem Staatsſchaße einige Millionen Franken na<h Gent gebraht, mit denen die nothwendigſten Bedürfniſſe während der hundert Tage beſtritten werden founten. Auch befanden ſi< die Geſandten einiger Mächte, wie der Ge= neral Pozzo di Borgo von Seiten Rußlands, Graf Golz als Vertreter Preußens bei dem vertriebenen Monarchen. Einige andere waren ernannt, erſchienen aber ſelten oder gar niht. Ludwig XVIIL., der ſein Miniſterium, das anfänglich nur aus dem Grafen Blacas beſtanden , vervollſtändigt hatte , hielt Conſeils, ließ ſi< Berichte erſtatten, empfing, von einem Theile ſeines Hofes und ſeiner Leibwache umgeben, die in Gent anweſenden Franzoſen und ankommenden Fremden, und ſpielte, obgleich flüchtig und in fremdem Lande lebend, ſo viel als möglich die Nolle eines Souverains fort. Er bewahrte eine unerſchütterliche Ruhe und Heiterkeit, und trug eine große Zuverſicht auf den endlichen Sieg ſeiner Sache zur Schau.
Aber ungeachtet dieſes Scheines von Würde und Größe war Lud= wig XVIIL Lage, während dieſer Epoche, im Grunde eine ſehr traurige geweſen. Abgeſehen von der demüthigenden Nothwendigkeit, fremde Mäte, ohne eigene Einwirkung, über ſein Schiſal entſcheiden laſſen zu müſſen, war er der Geſinnungen dieſer Mächte gegen ihn nicht vollfommen gewiß. Jhre Abſicht, Napoleon auf das Aeußerſte zu bekämpfen, war unzweifelhaft. Aber bei dem militairiſhen Genie dieſes leßteren konnte der Sieg zweifelhaft erſheinen, und der vielerfahrene greiſe König fannte den Weltlauf zu gut, um nicht zu wiſſen , daß in der Politik Alles vom Erfolge abhängt, und es in Bezug auf ſie keine unabänderlichen Anſichten und keine unauflösbaren Bündniſſe gibt. Es war ihm wohlbe= kannt, daß Rußland und Preußen ſi<h dur<h das am Wiener Kongreß von Talleyrand gegen ſie zwiſhen Frankreich, England und Oeſterreich eingeleitete Bündniß verleßt fühlten, daß überhaupt Europa ihm und feinem Hauſe die Schuld des Gelingens von Napoleon's Landung bei=