Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

Murat in Korſika. 381

weſen, aber niht geeignet, ſich ſelbſt in einer außerordentlichen Lage zwe>mäßig zu beſtimmen.

Die Bewunderung , die Murat in einem Theile der korſikaniſchen Bevölkerung erregte, hatte in ihm die Erinnerung an ſeine Flucht aus Neapel und ſeine Verlaſſenheit in Frankreih ausgelöſht. Er glaubte wieder er ſelbſt zu ſein. Wenn Leute, die ihm nie nahe geſtanden, die ihm nichts verdankten, ſo ſprach Murat oft zu ſeinen Vertrauten wäh= rend ſeines Aufenthaltes in Korſika, ſi< ſo willfährig für ihn zeigten, was dürfe er niht von Denen erwarten , über die er ſieben Jahre lang regiert hatte, wo viele Tauſende no< die Waſfen und Uniformen trugen, die Titel und Aemter bekleideten, die er ihnen gegeben hatte. Vergebens ſtellten ihm ſeine einſihtsvolleren und kfaltblütigeren Freunde vor, daß er, der vor wenigen Monaten an der Spibe eines zahlreichen Heeres RE unterlegen, unmöglich je8t, von einer kleinen Schaar von Flücht=z lingen umgeben, mehr ausrihten werde. Man machte ihn auf die Macht der Gewohnheit aufmerkſam, die ſich der Neapolitaner bei dem Anbli> ihres alten Herrſcherhauſes wieder bemächtigt habe, und auf das ſchnelle Vergeſſen einer geſtürzten Größe , die ohne Wurzeln in der Vergangenheit geweſen. Murat verſchloß ſich vor einer rihtigeren Auffaſſung der Lage der Dinge, und gab ſi, ohne Rückſicht auf die Gegenwart , ſeinen Erinnerungen und Hoffnungen hin. Das Bild des herrlichen Landes, über das er geherrſcht yatte, ſtellte ſich ihm unaufhörlich dar, und riß ihn unwiderſtehli<h hin. Er brach mehrmals vor innerer Bewegung in Thränen aus und rief: „J< muß Neapel wiederſehen! Neapel ruft mi!‘ —

Vergebens ſuchte Murat's vieljähriger Adjutant und Vertrauter, der Oberſt Macerone, der ihm ſeit ſeinem Sturz mehre erhebliche Dienſte geleiſtet und zuleßt das Aſyl in Oeſterreih ausgewirkt hatte, ihn von ſeinem verwegenen Unternehmen abzulenken. Aus Neapel ſelbſt kamen einige mit dem dort herrſchenden Geiſte vertraute Perſonen an, und ſtell= ten Murat die Unmöglichkeit eines Gelingens ſeiner Abſichten vor. Er war von der begeiſterten Aufnahme, die er in Ajaccio geſunden, von dem überall bei ſeinem Erſcheinen erſchallenden Rufe: „Es lebe der König von Neapel ! ‘’ ſo berauſcht, daß er einen ähnlichen Empfang in ſeinem verlorenen Reiche vorausſeßte.

Die Autorität des Königs von Frankreih war damals in Korſika fo unvollſtändig wiederhergeſtellt, daß Murat die Vorbereitungen zu ſei= ner Landung im Königreich Neapel, ohne Widerſtand zu finden, vollenden fonnte. In der Nacht vom 27, zum 28. September verließ er mit ſehs