Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
deutſche Bildungselement iſt der Sauerteig, welcher die grundverſchiedenen Theile der ruſſiſchen Geſellſhaft aneinander hielt und ſo gewiſſermaßen wie ein Parfum durchdrang ; wird er entfernt, dann zerfällt der übelriehende Cadaver, und wehe Demjenigen, der in ſeiner Nähe zu thun hat.
Zur Zeit war es die perſönlihe Freundſchaft zwiſchen dem deutſchen und ruſſiſhen Kaiſer,
welche den Czaren die Allianz mit Deutſchland aufre<t erhalten ließ; fommt der GroßfürſtThronfolger, Alexander der Dritte, daran, den Siß auf dem Kutſchbo der ruſſiſhen Troika — jenem feurig dahinſauſenden Dreigeſpann, mit welchem einmal der berühmte Dichter Gogol Rußland vergli<h — einzunehmen, dann wird auh na<h Außen hin deutſchfeindliche Politik gemacht; darüber giebt es keinen Zweifel.
Der Sturz des türkiſ<hen Großveziers.
Ziemlich überraſchend für das übrige Europa wirkte die zu Ende April 1875 aus Conſtantinopel kommende Nachriht vom Sturze Huſſein Avni's, des Großveziers. Zwar war man gewohnt, den Beherrſcher der Gläubigen ſeine Miniſter ſehr häufig we<hſeln zu ſehen. Ein Wort der Sultanin-Mutter, ein Geſchenk des Khedive (Vicekönigs) von Egypten, ja ſelbſt die Laune einer \{<önen Odaliske hat im Divan nicht ſelten Kriſen gezeitigt, über deren Entſtehung ſi<h die Diplomaten den Kopf zerbrachen. Der geiſtig verfommene Sultan Abdul Aziz ſchien eine Art Stolz darein zu ſeen, aus der Türkei das Reich dex Tauſend und Ein Veziere zu machen, und die Welt gewöhnte ſih \<ließli< ſo ſehr an die Mißwirthſchaft des „kranken Mannes“, daß ſie den Ueberraſhungen vom Bosporus her längſt nux geringe Aufmerkſamkeit entgegenbrachte. Die neueſte Meldung dieſer Art wollte indeſſen etwas anders beurtheilt werden, ſie fonnte in der That auf eine ganz außergewöhnliche politiſhe Bedeutung Anſpruch machen.
Huſſein Avni, der geſtürzte Großvezier, war ein ausgeſprohener Gegner Deſterrei<hs; ex trat jeder Forderung des Wiener Cabinetes mit principieller Feindſeligkeit entgegen und legte es bei allen möglihen Gelegenheiten darauf an, den politiſchen, ſowie den materiellen Jntereſſen Deſterreihs im Orient ſ{hwere Schädigung zuzufügen. Auf England und Frankreich geſtüßt, verſuchte dieſer Minijter dem Drei-KaiſerBund Schach zu bieten, und in ſeinen verſchiedenen Rundſchreiben an die europäiſchen Mächte ließ er eê niemals an bitteren Beſchwerden und Proteſten gegen die nordiſche Allianz fehlen. Was er in dieſer Hinſicht weder dem “ädtigen Deutſchland noch dem ruſſiſchen „Erbfeinde“ des Balkan-Reiches zu bieten wagte, nahm ex ſi< ungeſcheut gegenüber der öſterreichiſhen Diplomatie heraus. Die Frontſhwenkung, welche der öſterreichiſchen Orient-Politik durch die Machtverhältniſſe des Weſlttheiles geboten wurde, fand in Huſſein A v ni ihren fanatiſchen Rächer. Graf Andraſ ſy
hatte ein Fiasco na< dem anderen zu beklagen, und die Aufſehen erregende Niederlage, welche Oeſterreih in der Frage dex türkiſchen Bahnen erlitt, war nux das Glied einex ſehr langen Reihe von ſolchen.
Dieſe Angelegenheit indeſſen ſcheiut es geweſen zu ſein, was dem Sadri-Aſam (Großvezier) den Kragen brach. Die nahezu brutale Rückſichtsloſigfeit, mit welcher er den Anſchluß der rumeliſchen Eiſenbahnen an die öſterreichiſchen Linien ablehnte, die Vexlezung der wichtigſten Fntereſſen ODeſterreis, das beleidigende Vorgehen gegenüber dem Grafen Zichy (öſterreichiſh - ungariſhen Botſchafter), das Dementi, welches ‘er ſogar einem Verſprechen des Sultans zu ertheilen wagte, welcher dem Fnternuntius in einer Audienz bereits poſitive Zuſagen gemacht hatte, alle dieſe Vorgänge trieben die Dinge auf's Aeußerſte und verlangten unabweislih irgend eine Löſung der verwi>elten Conſlicte.
Es fragte ſi< nur no<, in welhem Sinne dieſe Löſung erfolgen würde. Huſſein Avni fonnte ganz gut ſtürzen und Deſterreih dabei eine neue Niederlage erleiden. General Fgnatieff, der Vertreter Rußlands, ließ alle Hebel ſpielen, um einen ru ſ\i\< geſinnten Großvezier an's Ruder zu bringen. Alle Ausſichten deuteten auf ein Gelingen ſeiner Bemühungen hin. Der verbannte Mahmud Paſcha, eben der Candidat JFgnatieff's, war erſt kürzlich als ein Begnadigter aus dem Exil zurü>gekehrt. Er hien der Mann der nächſten Zukunft zu ſein, da der Sultan von ihm noch immer die Verwirklichung ſeines heißeſten Wunſches, die Abänderung der Thronfolge, erhoffte. Abdul Aziz hatte es troß des Widerſtrebens der mächtigen alttürkiſhen Partei faum aufgegeben, ſeinem Lieblingsſohne Fuſſuf
Jzzedin gegen Recht und Gebrauch die Herrſchaft
s Reiches zuzuwenden. Der Großherr betrachtete die Ausführung dieſes Planes als ſeine Lebensaufgabe und wurde in dieſer Anſicht ſtets von Mahmud und JFgnatieff beſtärkt, welche ſolcher-