Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Der türkiſhe Miniſterrath unter Vorſit des Sultans beſchloß daher, einen Geſandten in das ruſſiſhe Hauptquartier zu Waffenſtillſtands-Verhandlungen zu entſenden. Doch bald erſchienen die WaffenſtillſtandsVerhandlungen wieder geſcheitert, es hieß, der Sultan habe ſi< in die Arme Englands geworfen und dürfe für's Erſte keine directen Verhandlungen mit Rußland eröffnen.

Später aber hieß es: Großfürſt Nikolaus habe Reouf Paſcha mitgetheilt, daß der Waffenſtillſtand im Principe angenommen ſei, daß man aber früher über die Friedens-Präliminarien erſt übereinfommen müſſe.

Ueberhaupt erſah man aus all dieſen widerſprehenden Unterhandlungen, daß es dem ruſſiſchen Heerführer und der Diplomatie nur darum zu thun war, unterdeſſen den Vormarſch der Armee weiter fortſeßen zu können.

Erſt nah der Räumung Adrianopels am 19. fonnte man mit Gewißheit \<ließen, es hätten bereits die ruſſiſ< -türfiſhen Unterhandlungen ernſtli<h begonnen und der Abzug der Türken aus der zweiten Sultansſtadt ſei die Erfüllung der erſten und dringendſten Vorbedingungen Rußlands geweſen. — Man wußte ſogar, daß die türkiſhen Unterhändler im ruſſiſ<hen Hauptquartier eingetroffen waren.

Jzzet Bey hatte ſi<h, mit den verſprehendſten Vollmachten verſehen, nah Kaſanlik begeben. Die Pforte war, um die Hauptſtadt des Reiches zu retten, bereit, die äußerſten Conceſſionen zu machen. Doch dieſelben konnten die Waffenruhe niht mehr herbeiführen, denn der Czar ertheilte den ſtrengſten Befehl, unverzügli<h den Vormarſ< auf Conſtantinopel zu beginnen. Rußland beabſichtigte den Frieden nicht in Adrianopel, ſondern in Conſtantinopel ſelbſt zu \<ließen.

Die militäriſ<hen Kataſtrophen, von denen die Pforte ereilt worden war, hatten ſi< von dem Momente an zu häufen begonnen, in welchem die Verhandlungen über den Waffenſtillſtand ernſter wurden. Die engliſche Politik war es, welche das Zuſtandekommen des Waſffenſtillſtandes um gut vierzehn Tage verzögert hatte, und es genügten dieſe zwei Wochen, um die Niederlage der türkiſchen Armee vollſtändig zu machen.

Aber dieſe Verzögerung hatte noh viel ernſtere und bedenklihere Folgen mit ſi< gebracht. Es wären nämlich die Friedensbedingungen Rußlands jedenfalls vor dem Falle Plewna's andere geweſen als nah der Gefangennehmung Osman Paſchas. Vor dem Einzuge in Sofia hätte Rußland gewiß andere Forderungen geſtellt, als na< der Einnahme dieſer Stadt, und vor der Waffenſtre>ung des

Himmermann, Geſch. des orient. Krieges.

Vertheidigers des Schipka-Paſſes wäre es leihter geweſen, Waffenruhe und Frieden zu ſchließen, als na< der Kataſtrophe, welche den ruſſiſhen Heeresſäulen den Weg nah Adrianopel öffnete.

Aber das heilloſe Schwanken der engliſchen Politik hatte die Pforte an den Rand des Abgrundes gebracht, hatte dem Fürſten G ort \<akoff die Möglichkeit eröffnet, das als Mäßigung erſcheinen zu laſſen, was vor kurzer Zeit noh als unberechtigte Anmaßung zurü>gewieſen worden wäre. Der Sieger ſprit eben ganz anders als Derjenige, der ſi< erſt eines Erfolges zu verſichern hat. Die Wegnahme von Niſ\<. dur< die Serben, und die Antivari's dur< die Montenegriner waren Ereigniſſe, die {<wer in die Wagſchale fielen.

Die gänzli< veränderte Situation ermöglichte es, daß Rußland, bevor es ſi< überhaupt in Waſfenſtillſtands- und Friedens-Unterhandlungen einlaſſen wollte, die Zurüziehung aller türkiſchen Streitkräfte bis hinter Adrianopel verlangen fonnte. Die türkiſ<hen Bevollmächtigten Server Paſcha und Namyk Paſha begaben ſich daher am 14. Januar von Conſtantinopel nach Kaſanlik, wo fie in Gemeinſchaft mit M eh emed Ali Paſcha, den ruſſiſchen Forderungen gemäß, die Verhandlungen über die FriedensPräliminarien und den Waffenſtillſtand führen ſollten, und der Sultan ſelbſt hatte ſih direct an den Czaren mit dem Erſuchen gewendet, den Abſchluß des Waffenſtillſtandes zu erleichtern.

Am 18. Fanuar waren die türkiſchen Bevollmächtigten für die Verhandlungen in Hermanli von dem ruſſiſhen General Graf Stroganoff empfangen und in das ruſſiſhe Hauptquartier geleitet worden. Für den als Bevollmächtigten daſelbſt weilenden Server Paſcha hatte in Conſtantinopel interimiſtiſh Safvet Paſcha das Portefeuille des Aeußeren übernommen. Die von den Bevollmächtigten mitgenommenen Jnſtructionen kamen den weitreihendſten Vollmachten glei; nihtsdeſtoweniger war der Fall vorgeſehen, daß hei unerwarteter Härte der ruſſiſchen Bedingungen die Bevollmächtigten vor einem entſcheidenden Schritte an die Pforte telegraphiſch zu berihten hatten.

Am 28. Fanuar verlangten die türkiſchen Bevollmächtigten, die ſi< ohne Nacriht von der Pforte befanden, die Erlaubniß, einen Boten mit einem Briefe dur die ruſſiſhen Vorpoſten na< Conſtantinopel befördern zu dürfen. Dieſe Erlaubniß ward ihnen unter der Bedingung ertheilt, daß die Antwort ſpäteſtens bis 2. Februar eintreffe. Am 30. Fanuar erhielten die türkiſchen Bevollmächtigten ein Telegramm aus Conſtantinopel und begehrten eine Unterredung mit dem Großfürſten Nikolaus. Sie erklärten .demſelben, daß die Pforte in alle Bedingungen willige,

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