Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

wiſſen Haſt inſcenirt worden war. Dieſe Raſchheit auh in den Operationen auf der einen und dieſe Verzögerung derſelben auf der anderen Seite waren dur< militäriſche und politiſche Erwägungen zu erklären. Der Angriff auf Conſtantinopel ſollte glei<hſam der Endbeſcheid Rußlands ſein, um die Pforte zum Frieden zu zwingen, wenn die zur ſelben Zeit no< ſ{<webenden Friedensverhandlungen in Kaſanlik geſcheitert wären. Zudem war die ruſſiſhe Heeresleitung damals (23. Januar) no< niht im Stande, den Angriff auf Conſtantinopel ſelb zu beginnen, weil ihre Concentrirung bei Adrianopel no< nicht vollendet war.

Wenn nun auch die ruſſiſhe Heeresleitung aus politiſhen und militäriſchen Urſachen noh niht im Stande war, den Angriff auf Conſtantinopel ſelbſt zu beginnen, ſo mußte ſie ſi< do< bereits die mögli<ſt günſtigen Vorbedingungen für dieſe immerhin ſhwierige Aufgabe ſchaffen. Die Halbinſel und die Stadt Gallipoli mit ihren die Dardanellen ſtraße ſperrenden Befeſtigungen bieten ſowohl der Türkei als auch im Falle einer fremden Jntervention der betreffenden fremden Macht einen überaus günſtigen Naum für die Ausſchiffung und die Concentrirung eines Truppencorps, ſowie zur Anlage einer Zwiſchenbaſis für die bevorſtehenden Operationen. Eine auf der Halbinſel von Gallipoli concentrirte Armee hätte, wenn ſie ihre Vorrü>ung beginnen ſollte, die ruſſiſhe auf Conſtantinopel laufende Operationslinie in der reten Flanke treffen und die ruſſiſhe Armee zum Aufgeben der Belagerung zwingen können. Dieſe Umſtände hatten nun das ruſſiſ<he Armee-Commando beſtimmt, dur< eine raſhe Vorrückung ſeiner Avantgarde den Verſu<h zu machen, die Halbinſel von Gallipoli dur< einen Handſtreich zu erobern. Fm Falle des Gelingens dieſer Operation hätten ſi< die Ruſſen ohne Schwierigfeit au< in den Beſiß der auf der europäiſchen Seite der Dardanellen liegenden ſogenannten Dardanellen-Schlöſſer und Küſtenbatterien ſetzen können, da dieſe gegen die Seeſeite fur<tbaren Befeſtigungen gegen die Landſeite ganz wehrlos daliegen.

Nordöſtlih des Städchens Gallipoli verengt ſih die Halbinſel zu einer kaum mehr als eine halbe deutſche Meile breiten Landenge. Mit dieſer leßteren fällt au< eine ziemli< erheblihe Bodenſenkung zuſammen, welhe von der Bai von Saros bis zum Marmara-Meere reiht und ſo na beiden Seiten einen werthvollen militäriſchen Abſchnitt darſtellt. Dieſe Poſition liegt weſtlich des Dorfes Butair, und war dieſelbe bereits im Jahre 1554 von den weſtmähtli<hen Alliirten befeſtigt worden. Zu Ausbruch des gegenwärtigen orientaliſhen Krieges haben die Türken die

Linien von Gallipoli ausgebeſſert und vervollſtändigt. Jn Folge des Vorrüens der ruſſiſhen Corps entſtand in Gallipoli eine Panique, die immer größere Dimenſionen annahm, als es hieß, daß die Ruſſen zwiſchen Uſun-Köpri und Keschan, etwa zehn Stunden von dort entfernt, ſtanden. Bon Stambul waren Befehle eingetroffen, jedem Bordringen in dieſer Richtung Widerſtand zu leiſten. Jn Folge dieſer Nachricht bereiteten ſi Familien vor, nah Aſien auszuwandern. Truppen wurden von Smyrna und den Dardanellen erwartet. Gallipoli war in Bezug auf ſeine damaligen Befeſtigungen in einer ſehr günſtigen Lage. Der bekannte Genie-General Blum Paſcha, der auh die Befeſtigungen Conſtantinopels, für welche tägli ſtarke Truppenmaſſen ankamen, erbaute, war unermüdli< damit beſchäftigt, vor Gallipoli Neu-Anlagen aufzuführen und die vorhandenen Werke zu verſtärken. Die Armirung dieſer Linie war eine vorzüglihe und waren erſt in den leßten Tagen wieder mehrere Stücke \{<werſten Kalibers in die Batterien eingeführt worden. Die Beſatzung war genügend ſtark, ſie beſtand ausnahmslos aus gedienten, wohlabgerihteten Mann-

ſchaften. Die Unterkunftsräume waren gut und Proviant- und Munitionsbeſtände ausreichend vorhanden. Ueberdies konnte Gallipoli ſtets von

der See aus unterſtüßt werden.

Das ruſſiſ<he Vordringen auf Stambul veranlaßte jedoh England, ſi ſofort zum Schute feiner eigenen Jntereſſen zu rühren. Die Ruſſen fonnten aus Adrianopel in einem Eilmarſche von einigen Tagen vor Gallipoli und Conſtantinopel dringen, es ſchien, daß die gänzlich demoraliſirte türfiſhe Armee keinen Widerſtand zu leiſten im Stande war.

Der engliſche Botſchafter hatte daher von der Pforte die Ermächtigung nachgeſuht, die engliſhe Flotte in die Dardanellen einfahren zu laſſen, bevor die Ruſſen Gallipoli beſeßen könnten. Die Ausfichten auf ein Einverſtändniß zwiſchen England und RNußland waren bereits im Verſchwinden begriffen, da das Cabinet von St. James darauf beharrte, daß Rußland“ Garantien für die von ihm verſpro<hene Wahrung der engliſchen Intereſſen gewähren ſollte. — Dieſe Garantien hatten aber na< britiſher Auffaſſung darin zu beſtehen, daß der Friede vor einem europäiſchen Congreſſe verhandelt werde und daß die ruſſiſ<he Armee Halt vor Adrianopel machen ſolle. Da aber dies niht geſchehen, ſah ſi< die großbritanniſhe Regierung veranlaßt, ſi< ſelbſt Garantien zu verſhaffen, und das geplante Erſcheinen der Flotte in den Dardanellen war die Folge davon.