Poimandres : Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur

130 IV. Poimandres und die ägyptische Offenbarungsliteratur.

Gotte und sieht in der folgenden Nacht einen Traum: er schaut den Gott Chnum vor sich stehen; als er ihm seine Ehrfurcht bezeugt, offenbart sich ihm der Gott und spricht: „Ich bin Chnum, dein Schöpfer und Beschützer...... Ich bin der Schöpfer, der sich selbst geschaffen hat, der große Nun (Ozean), der zuerst entstanden ist, der Nil!), der steigt nach seinem Belieben...., der jeden Menschen zu seiner Tätigkeit leitet, Tanon*), der Vater der Götter, Schu‘), der Große, der über dem Boden ist.“ Sollte es zufällig sein, daß gerade der Offenbarungsgott Asklepios*) die Macht des "Aradöc daiuwv zunächst enthüllt, und daß Lukan, der ja durch den ägyptischen Priester Chairemon vorzüglich unterrichtet sein konnte und in diesem Zusammenhange dessen religiöse Anschauungen vorträgt), X 172. Caesar ähnlich den weisen Priester nach dem Wesen der Götter und den Quellen des Nils fragen läßt? Die z. T. von Seneca entlehnte Antwort zersprengt freilich den Kern der Geschichte und läßt im Nil nieht mehr den Urgott Chnubis erscheinen, auf den doch die Frage noch mit zu gehen scheint. Das würde auf eine literarische Vorlage der Inschrift von Sehöl weisen, wenn auch diese Vorlage dann vor Manethos Zeit fallen und noch älteren Urkunden entlehnt sein müßte.®) Doch ich bin nieht berechtigt, über diese Frage mitzureden.

Eine weitere Form der religiösen Chnuphis-Literatur zeigt uns — entsprechend dieser ägyptischen Erzählung — den Gott, wie er sich dem einzelnen ungenannten Priester offenbart. Es wird nicht

1) Dasselbe ist ja bei Plutarch und dem Autor der Naassenerpredigt Osiris. Hieraus erklärt sich der Name ’Aya®öc daluwv für einen Nilarm oder vielmehr für den Nil (vgl. auch Schiff, Festschr. f. Hirschfeld S. 374 #f.).

2) Beiname des Ptah zu Memphis.

3) Der Himmel. Er wird öfters mit Chnum identifiziert.

4) Er hat seit dem zweiten Jahrhundert v.Chr. in Philae seinen Tempel.

5) Auf die Berührungen Lukans mit Leon von Pella habe ich früher (Zwei religionsgesch. Fragen 97 A. 1) verwiesen.

6) Die: literarische Bearbeitung würde dann unseren Hermetischen Schriften in der Form sehr nahe gekommen sein müssen. — Daß die Worte des S. 16 angeführten Hermes-Gebetes: cd ei 6 "Ayadöc daiuwv die Erklärung zu Lukans (d. h. Chairemons) Lehre von den Planeten: immensae Oyllenius arbiter undae est (X 209, vgl. 214: dominus aquarum) bietet, sei beiläufig bemerkt. Daß auf späten Gemmen vereinzelt auch Chnum mit Asklepios verbunden wird (Drexler, Mythol. Beiträge I 64A.), wage ich nicht zum Beweis zu benutzen; Chnum ist zu dieser Zeit auch selbst Heilgott.

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