Битеф

haben und auch bei »Lear«, immer noch diese komische Wirkung auf den Zuschauer hat. Das heißt, Sie suchen sich doch dann unter den Schauspielern, mit denen Sie arbeiten, Angriffspunkte. Passiert so etwas wie Aggressivität bei den Proben? Ich meine, ich kann nicht gut arbeiten, ohne einen Feind gegenüber. Wie ist es mit dem Unterschied zwischen noch kontrollierten Aggressionen, die also eigentlich Teil der Probenmethodik sind, und solchen dann ins Private hinübergehenden Aggressionen, kann man den einhalten? Soll man den überhaupt einhalten? Oder sollen die Auseinandersetzungen dann eben ganz nah werden, also gar nichts mehr mit Shakespeare und Othello zu tun haben, sondern damit, daß man sich in dem Moment widerlich findet gegenseitig oder . ..? An den Punkt kommt es, wenn man wirklich die Arbeit macht und sie konsequent macht. Die Grenzen werden dann verwischt. Ohne Frage. Nicht andauernd, sonst wären wir im Irrenhaus. Sonst wäre es ja gar nicht durchzuhalten. Aber immer wieder. Es passieren immer wieder Situationen, wo nicht mehr feststellbar ist, ob der Schauspieler privat reagiert oder in der Rolle reagiert. Ich kann’s auch nicht feststellen. Und das sind die Momente, auf die ich hinarbeite, genau diese Momente. Aber der Schauspieler muß auch die Sicherheit empfinden, daß ich dann auch weiß, was ich mit dem Moment anfange. Das heißt, daß ich ihn nicht da plötzlich spinnen lasse, weil da können wirklich Dinge passieren, die nicht mehr besonders lustig sind. Deswegen lasse ich auch in den Proben niemand mehr rein. Ich macht’ noch mal von der »Wildente« reden. Das ist ein Stück eines aufklärerischen Autors, eines pädagogisch argumentierenden Autors, der ziemlich genau Bescheid weiß über seine Figuren, der auch ziemlich genau weiß, worüber er sein Publikum mit diesem Stück belehren will. In Ihrer Inszenierung haben sich nun diese Ibesenschen Modellfiguren in ziemlich krause Individuen verwandelt, die viel widersprüchlicher, chaotischer reagiert haben, deren Gefühle viel anarchischer waren, als es so ein Lehrstück wie das von Ibsen eigentlich zugeben kann. War diese Aufführung eine Kritik an Ibsen oder war sie sogar noch mehr? War sie eine Kritik an aufklärerischer Pädagogik überhaupt? Nein. Ich muß Sie auch enttäuschen. Ich weiß nicht, ob Sie das enttäuschen wird, aber die Aufführung ist anders geworden, als ich sie geplant hatte. Und zwar hat die Aufführung ihren Anfang vor etwa zwanzig Jahren, wo ich mal die » Wildente« in England gesehen habe. Adolf Wohlhrück hat den Hjalmar gespielt, und mir fiel auf, daß das eine Komödie ist, aber eine ganz andere Art von Komödie als das, was ich hier inszeniert habe. Und das hat mich unheimlich fasziniert, daß das Stück eigentlich von einem ganz boshaften Witz war und das einzige, was bei mir übrigblieb in meinem Kopf über dieses Stück war die Kombination dieser grausamen Geschichte von einem kleinen Mädchen, das sich erschießt und diesem eitlen, versponnenen, witzigen, absurden Menschen Hjalmar Ekdal. Diese beiden Figuren, die sind mir unheimlich im Kopf geblieben. Ich hab’ das Stück zehn Jahre nicht gelesen oder zwanzig und dann hat Ivan Nagel mich mal angerufen und gesagt, sag’ mal, willst du das gerne machen, und ich hab’

gesagt, ja nun, ich les’ noch mal und ich hab’ dann gesagt, ja. Und hab’ gedacht, sehr spannend, ich mach’ jetzt mal so eine Komödie, ich finde es sehr komisch. Und dann habe ich angefangen, daran zu arbeiten, und obwohl ich immer noch sehr viel Komik und Witz und so weiter fand, hat mich dann wie jeden die Unmenschlichkeit dieses Textes von Ibsen interessiert. Worin besteht diese Unmenschlichkeit? Weil die Leute immer nie das sagen, was sie sagen würden, sondern nur das sagen, was opportun ist in einer Situation, um eine Idee zu verkaufen. Was mich interessiert beim Menschen auf der Bühne ist, ihn in der kompliziertesten Form zu zeigen, die mir einfällt, die möglich ist in den Grenzen, die gesetzt werden von der Figur im Stück und von dem Schauspieler. Dem Zuschauer will ich andauernd Optionen, Wahlen, Situationen zeigen, in denen er sich entscheiden muß, laufend, laufend, laufend, laufend. Das ist auch das, muß ich sagen, was mich interessiert, hinzugucken und zu sagen: also was jetzt liebt der denn seine Tochter, dieser Hjalmar oder nicht? Was ist denn da eigentlich los? Und in dem Moment, wo der Autor mir das beantwortet oder der Schauspieler es mir mit seiner Spielweise beantwortet oder der Regisseur es mir beantwortet, indem er den Schauspieler kommentieren läßt, was eigentlich gemeint ist da fühle ich mich wie ein Pennäler behandelt, oder, was noch schlimmer its, ich fühle mich wie ein Komplize des denunzierenden Regisseurs. Und das will ich nicht sein. Aber das ist doch die Tragik aller Aufklärer, daß sie in die Rolle des Schulmeisters flüchten müssen. Die Unlust zu belehren, ist das nicht auch ein Verzicht darauf, als aufklärender Pädagoge tätig zu sein? Ja meinen Sie, daß ich als aufklärender Pädagoge tätig sein sollte? Ich empfinde mich schon in einer gewissen Weise als Moralist, weil ich glaube . . . Meine Frage unterstellt, daß Sie einfach gar keine Lust haben, Leute zu belehren, zumindest nicht auf dem Theater. Ich hab’ nur Lust, sie zu belehren über nein nicht sie zu belehren, ich hab’ nicht Lust, sie zu belehren ich habe Lust, sie zur Entscheidung zu zwingen, dazu zu zwingen oder sie zu überreden, genau hinzugucken auf die kuriosen Dinge, die passieren im Leben und bei Menschen und dann ihre eigenen Entscheidungen mit Courage zu treffen. Das ist eigentlich das einzige, was mich interessiert, daß man jemand anguckt und sagt zum Beispiel: Ich habe gerade ein Stück gemacht, das hieß »Eiszeit« über einen alten Nazi, über Knut Hamsun, der ein Nazisympathisant war und nach dem Krieg dafür bestraft werden soll oder nicht. Dieses Stück » Eiszeit « von Dorst hat mich interessiert wegen der Unlösbarkeit des Problems. Denn wenn ein Mann neunzig ist, ist es absurd, ihm Vorwürfe zu machen, wegen dessen, was er mit dreißig gemacht hat, was soll das? Und trotzdem steht daneben ein Mann, der im KZ gesessen hat und das Recht hat, solchen Vorwurf zu machen. Das sind die Diskrepanzen im Leben, und ich meine auch nicht, daß sie auflösbar sind. Die Autoren, die sich mit solcher Thematik beschäftigen, O’Casey zum Beispiel, obwohl er Marxist war, hat sich immer wieder zu solchen Figuren in einer Weise verhalten, daß die nicht mehr irgendwie gepaßt haben. Sogar Arthur