Битеф

nach Harmonie. In Ihren Inszenierungen spüre ich was ganz anderes ein Interesse an Häßlichkeit und einen Spaß am Unharmonischen. Das ist richtig. Das ist eine Frage, die vielleicht blöd ist. Sie haben die letzten paar Jahre in Bochum gelebt, die gilt ja für eine sehr häßliche Stadt, macht es Ihnen was aus in einer häßlichen Stadt zu leben? Oder finden Sie schöne Städte schön? Das ist eine gute Frage. Es macht mir nichts aus, in einer häßlichen Stadt zu leben. Ich hab’ mich zum Beispiel sehr unglücklich gefühlt in München. Und ich würde mich wahrscheinlich in Salzburg noch unglücklicher fühlen. In dieser Art von Schönheit geht’s mir überhaupt nicht gut. Ich fühle mich eigentlich am wohlsten also von den Städten in Deutschland, die ich kenne —fühle ich mich am wohlsten in Hamburg, weil es einen Hafen gibt und weil es viel Dreck gibt und weil es kuriose Dinge gibt, die mich faszinieren. Es gibt auch so ganz aufgeräumte Gegenden in Hamburg. Da geh’ ich nicht oft hin (obwohl ich in einer wohne). Aber nein, mich fasziniert schon das Durcheinander und das Chaos, obwohl ich eigentlich von Natur aus ein recht vorsichtiger Mensch bin. Ich schlag mich nicht in Kneipen und ich bin eigentlich gar nicht ein Mensch, der mit Wucht an das Leben ’rangeht, aber in meiner Phantasie ist es schon sehr chaotisch und verrückt. Mich interessieren eigentlich immer die Diskrepanzen, also die Sachen, die nicht zusammenpassen, das haben Sie schon ganz richtig gesehen. Auch in der Kunst. Mich interessiert da auch dann manieristische Kunst stark und deswegen interessiert mich Theater eigentlich fast überhaupt nicht. Das letzte Mal, daß mich Theater interessiert hat, das war, als das Living Theatre, vor ungefähr zwölf Jahren, in der Welt ’rumlief. Die fand ich sehr aufregend. Haben Sie so gar nicht diese vielleicht kleinbürgerlichen Sehnsüchte nach Harmonie und nach Schönheit und schön Geordnetem? Nein, da werd’ ich verrückt. Da werde ich wahnsinnig. Ich bin eigentlich ohne Wurzeln Noch eine Unterscheidung zu den anderen Regisseuren. Man sieht etwa in einer Stein-Inszenierung immer auch so etwas wie eine Tradition, so eine große bürgerliche Kulturtradition. Ich will das jetzt nicht genauer definieren. Man sieht in Ihren Inszenierungen immer auch eine andere Tradition eine mehr plebejische Tradition. Man sieht so Einflüsse von Zirkus und Catcherzelt und Musical, und auch die ordinären Vergnügungen kommen in irgendwelchen Handlungen bei Ihnen wieder. Das Resultat ist natürlich, daß so eine Inszenierung dann nie so eine einheitliche Kunst und Geschmacksebene hat, sondern so etwas Chaotisches, Anarchisches behält, bis zuletzt. Hat das irgendwelche Wurzeln in Ihrer Biographie? Ja, bestimmt. Ich hin in Deutschland geboren, dann bin ich mit fünf Jahren ausgewandert, dann bin ich in England aufgewachsen, war nie glücklich in England, hab’ mich nie, da wohlgefühlt, hab’ nie als Engländer empfunden, obwohl ich fünfundzwanzig Jahre in England gelebt habe und englischer Staatsbürger bin.

Haben Ihre Eltern als Engländer empfunden? überhaupt nicht. Nie. Aber sie haben sich auch nicht als Deutsche empfunden. Sie haben sich aber auch nicht als Juden empfunden. Sie waren Juden. Ich bin auch Jude, aber bin eben auch wie die meisten liberalen Juden ich wußte nicht von Judentum oder so etwas-also bin ich eigentlich ohne Wurzeln, ohne ein Bewußtsein davon, wozu ich gehöre. Es kam der Krieg, wo man noch entwurzelter war. Und im Krieg, da war ich Deutscher, was noch dazukam, deutscher Jude in England im Krieg. Und nach dem Krieg bin ich dann naturalisiert worden, dann bin ich aber auch nach Deutschland gegangen. Also die Bindung es gibt keine das heißt, ich fühle mich am wohlsten mit Deutschen auf irgendeine Weise, da entsteht die größte Spannung. Die Regiarbeiten, die ich in England gemacht habe zum Beispiel die Uraufführung von Genets » Balkon « die waren immer in irgendeinem ganz komischen Mißklang zum englischen Publikum, aber nicht in der Art von Mißklang, der hier entsteht, also ein provozierender Mißklang, der Leute ins Theater holt, sondern in England war ich einfach ein Deutscher so ein komischer Deutscher, ein überernsthafter Mensch, während ich hier genau das entgegengesetzte Image hab’, nicht? Also Sie sagten eben Entertainment und Tralala, sagen Sie das mal einem Engländer, der mich vor zwanzig Jahren in England gekannt hat, der lacht sich tot und glaubt, wir reden über verschiedene Leute. Sie haben sich ja ziemlich oft ziemlich abfällig über eine bestimmte Sorte von deutschem Theater geäußert was man so Bildungstheater nennt haben sich über die falsche Vornehmheit und über das belehrende Getue dieses Theaters öffentlich aufgeregt. Ich hab’ ein bißchen den Verdacht, daß Sie eigentlich ganz froh sind, daß es so etwas gibt, weil Sie da immer einen Gegner haben. Einen Gegner, der Ihre Wut auslöst und über den Ihnen Witze einfallen? Bestimmt. Da haben Sie recht. Ich mag natürlich die permanente Auseinandersetzung. Das ist richtig. Und jetzt bezogen auf die Unterhaltung über England und Deutschland hat das ganz bestimmt sehr viel damit zu tun, also die Crazy-Show ist in England üblich sozusagen und die Problematik und die Belehrung ist etwas, was den Engländern sehr fremd ist, und daß da wenig Spannung für mich entsteht, im Gegenteil. Und hier ist genau das Gegenteil der Fall und die Opposition da hab’ ich bestimmt einen sehr großen Genuß daran, obwohl jetzt in letzter Zeit ist der Genuß geringer geworden und auch die Opposition weniger geworden, weil ich feststelle, daß das Theater, das ich jetzt mache, seit den letzten paar Jahren, weniger publikumsbezogen is. Eine Zeitlang war mein Theater wirklich sehr bezogen auf das Publikum und auch mit einem gewissen Bewußtsein bezogen auf das Publikum. Mich hat es ganz besonders interessiert, wie und wann das Publikum auf was reagiert. Aber der Vorgang des Krachs mit dem Publikum oder der Spannung mit dem Publikum ist eigentlich unbedeutender für mich geworden. Der ist jetzt mehr in die Arbeit selber gegangen. Und findet eigentlich mehr zwischen Schauspieler oder Autor und mir statt, als cwischen uns allen und dem Zuschauer, glaube ich, obwohl meine Arbeit dann immer noch scheinbar, wie Sie es zu Recht bei der » Wildente « bemerkt