Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 1.
6 Der Talisman des Weibes,
ſame Hausfrauen, „fönnen wir uns auf doppelte Preiſe der Leben3mittel gefaßt machen,“ und die Eheherren ſeßten hinzu: „Die dummen, neumodiſchen Jdeen werden dann auh hier ſich breit und uns den Kopf heiß machen, die dummen, neumodiſchen Jdeen von der Hebung des National= wohlſtandes und ſo weiter |“
Die Honoratioren Sittlingens lebten in ererbter Freund= ſchaft oder Feindſchaft gleich einer zahlreihen Familie. Jhre Vergnügungen gipfelten in den Reſſourcebällen, welche bei Petroleumlampen und auf blank geſcheuerten Dielen alljährli<h dreimal ſtattzufinden pflegten. Hier fultivirte man ſtatt der Quadrille à la cour noch die derbere Kegel= quadrille, und es bezeichnete den Höhepunkt allſeitiger Luſt, wenn der wohlbeleibte Bürgermeiſter als Kegel in der Mitte des Quarré’s hüpfte.
Seit vier Monaten gab es in ganz Sittlingen, allo die Männer aus Gewohnheit und Langerweile mit ihren Frauen um die Wette klatſchten, wie es in allen kleinen Städten dex Brauch zu ſein pflegt, nux ein Geſprächs= thema, das in allen Kaffeekränzchen und Abendcirkeln unermüdli<h abgehandelt wurde, und dieſes lieferte der neu ernannte Amtsrichter Hans Meiſchi> und deffen junge, ſchöne, geiſtvolle Gemahlin Jrmengard, kurzweg Zrma genannt.
Die Frau Amtsrichter wax Berlinerin und wurde als folche von den Sittlingern von vorn herein als ein „leichtz fertiges Weibsbild“ betrachtet. Jhre Toilette erregte Grau= ſen; kam doch der zierliche Knöchel des Fußgelenkes zu= weilen unter dem ſtahlblauen Winterkoſtüm zum Vorſchein,