Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 3.
230 Fiſcherleben an den Küſten der Normandie.
landesübliche Getränk, wird nicht geſpart, und wenn das Wetter es irgend erlaubt, findet Abends auf dem mit Sand beſtreuten Plaße der Mairie Tanz unter freiem Hümmel ſtatt. Abex die Luſt iſt auch hier ſelten cine laute und der Tanz meiſt nur eine Ronde nach dem Takte eines von Tänzern und Zuſchauern geſungenen Liedes.
Fragt man die jungen Mädchen, ob die Gefahren zur _ See, denen die Männer ausgeſeßt ſind, ſie nicht abſchre>en, immer wieder Fiſcher zu heirathen , ſo begegnet man erz ſtaunten Geſichtern. Ohne das Gehen und Kommen der Männer, meinen ſie, würde das Leben ſehr langweilig ſein, und Angſt und Sorge erſcheinen ihnen als beinahe nothz _wendiger Kitt des Familienlebens. Sind die Fiſcher von Etretat bei ſtürmiſcher See draußen, ſo eilen ihre weib= lichen Angehörigen hinauf auf die Höhe, wo an der großeit Straße, an einem Punkte, von welchem aus man den Kanal weit überblit, ein grob gearbeitetes hölzernes Kruz zifix ſteht, und unbekümmert um Sturm und Regen liegen ſie hiex Stunden lang auf den Stufen vor dem Bilde des Heilandes, um ſein Mitleid anzurufen oder, den Stamm des Kreuzes umfaſſend, auf die empörte, donnernde Fluth hinaus zu bli>ten. Iſt aber ihr Flehen vergeblich geweſen, ſpült die See die Trümmer eines Fahrzeuges oder die Leichen ſeiner Bemannung an's Land, ſo wird keine laute Klage hörbar. Man fügt ſich mit dex den Normannen eigenen Faſſung in das Unabänderliche. Jeder Todte, mag er zur See verunglü>t vdex in ſeinem Bette geſtorben ſein, wird in ein Leinentu<h genäht und bis zur Beerdigung in der Thüre der Hütte, mit den Füßen nah außen, aufgeſtellt.