Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

124 Unter einem Dathe.

MWittwe v. Ehrenberg, jeden derartigen Verſuch Bertha's dur< ihre hochmüthige Miene bereits im Keime zu er= ſtiden wußte. Nun war dieſe herrſ<hſüchtige Frau aber in wenig Tagen einer eben graſſirenden Krankheit erlegen, und Emilie, die bisher nicht die geringſte Selbſtſtändigkeit gekannt hatte, ſtand rathlos und verzweifelt ihrer Þlôß= lichen Freiheit gegenüber. Bertha, die dex Hausgenoſſin theilnahmsvoll mit ihrer praktiſchen Erfahrung und ihrer ſicheren Ruhe in den erſten ſchweren Tagen zur Seite ſtand, erſchien ihr wie ein rettender Engel. An einem Todten= bette hatten ſi dann die beiden einfamen Weſen die Hände gereicht, um von da an in treuer Neigung an einander zu hängen. Bertha lernte zum erſten Mal die Freude fennen, für eine dankbare, gefühlvolle Seele ſorgen zu dürfen, und in dieſer wachſenden Liebe kam ihr braves, warmes Herz erſt zur vollen Entwickelung. Emilie anderer= ſeits erweiterte in dem Umgang mit dex beleſenen, klugen Freundin ihren Geſichtskreis und befreite ſi<h aus den Nebelſchleiern einer einſeitigen, fleinſtädtiſchen Erziehung. Drei Jahre hatten ſie in voller Harmonie neben einander hingelebt, im Sommer im Gebirge, im Winter in einem behaglichen kleinen Heim.

Und dieſes Glück ſollte ein Ende nehmen? Dieſer Mann, den ein Zufall ihnen in den Weg geführt, ſollte ſich zwiſchen ſie drängen können? Nein, nimmermehr! — Und doch! Mit welchem Stolz Emilie die Worte betont hatte: „Er iſt mein Gatte!“ Konnte ſie wirklich no< ein Gefühl übrig haben füx den Abenteurer, der ſie um ihr Lebenêglüd betrogen, der ſie zur Wittwe gemacht hatte mit achtzehn Jahren ?