Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 6.

Novelle von E. Merk * CS 125

Aller Schlaf wax von Bertha EE ihr ganzes Herz hing an Emilie, und ſie zitterte und bangte voll Schre>en und Weh, daß dieſe einzige Menſchenſeele, die fie in der Welt beſaß, von ihr geriſſen werden könnte. Emilie aber hatte fein Wort dex Beruhigung und des Troſtes für die Freundin. Bleich, mit ſtarren Augen fehrte fie nah einer Weile in das Gemach zurü> und gab auf Bertha's ungeſtüme, erregte Fragen nux die abwehrende Antivort: „Jh täuſchte mih. Du hatteſt Recht! Gute Nacht!“ Bertha war zu ſtolz, um ſi<h in ein Geheimniß zn drängen, das ihr vorenthalten wurde. Doch als nun dex Morgen fam und Emilie no< immer in dem räthſelhaften Schweigen verharrte und auf ihre Frage, „ob ſie heute weiter fahren wollten?“ nux ſtumm den Kopf ſchüttelte, da meinte ſie die Bruſt müßte ihr zerſpringen vor Unruhe und Sorge.

„Zh ſehe, Du willſt allein bleiben, Emilie,“ ſagte ſie nicht ohne Bitterkeit. „Jh werde Dich nicht weiter ſtören. Draußen ſcheint die Sonne! Jh gehe ſpazieren. Fn einex Stunde bin i<h zurück. Leb” wohl einſtweilen!“

Sie athmete auf, als ſie im Freien ſtand. Der Morgen= ſonnenglanz lag über der entſchleierten herrlichen Gegend. Duxch Bertha’s Seele zog volles Entzücken. Sie wanderte gedankenverloren die Straße entlang, als eine Männer= ſtimme ſie aufſ<hre>te.

Emiliens Gatte ſtand vor thr. ;

„Jh bin Jhnen gefolgt, mein Fräulein !“ fagte er, „und bitte um die Gunſt, Sie begleiten zu dürfen, Jh möchte mit Jhnen ſprechen.“