Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Tiger: Fallen. Verwertung. Natürliche Feinde. Lebensdauer. 409

der ihm beim Berühren der Vorrichtung in den Leib geſchnellt wird und ſelbſt bei geringſter Verwundung den Tod bringt. Europäer und Eingeborene, die Feuerwaffen beſißen, ſtellen ferner, auf vielbenußten Wechſeln oder mit Ködern verſehen, Selbſtſchüſſe auf, die ſih re<ht gut bewähren. Neuerdings wird vielfah Stryhnin angewendet, womit man die Tiger mühe- und gefahrlos zu vertilgen ſtrebt; es ſoll jedo<h niht mehr wirken, ſobald das damit vergiftete Fleiſch ſih zu zerſeßen beginnt.

Der Nuten, welchen ein geübter Tigerjäger aus ſeinen Fagden zieht, iſt niht unbedeutend. Ganz abgeſehen von der Belohnung, welche dem glülihen Schüßen wird, kann er faſt alle Teile des Tigers verwerten, beſonders das Fett, durhſchnittli<h 4—6 Liter, das die Eingeborenen Jndiens für wirkſam gegen Rheumatismus und Viehkrankheiten halten. Hier und da wird auh das Fleiſch gegeſſen. Fagor verſichert, daß es keineswegs ſ{hle<t ſei. Bei einem Tigerſtehen auf Fava bot der Regent unſerem Reiſenden die erſtochenen Tiger zum Geſchenke an. „Da jedoh“, ſagt Jagor, „die Felle zerfeßt waren, begnügte ih mich damit, die Eingeweidewürmer meiner Sammlung einzuverleiben und einige Tigerkoteletten mir braten zu laſſen. Gegen Erwarten ſ{hme>ten ſie gut, faſt wie Rindfleiſh, was die übrigen Gäſte, welche vor dem Fleiſche einen gewiſſen Ekel empfanden, nicht glauben wollten.“ Fn Südoſtſibirien wird, laut Nadde, der Genuß des Tigerfleiſches nur Jägern, welche bereits Tiger erlegten, oder alten, erfahrenen Männern überhaupt geſtattet ; Weiber ſind, wenigſtens bei den Virar-Tunguſen, von ſolcher Mahlzeit gänzlich ausgeſchloſſen. Nach dem feſten Glauben dieſer Jäger iſt ſolches Fleiſh überaus wirkſam und verleiht dem Genießenden Kraft und Mut; ebenſo denken Bewohner von Siam. Auch als Arzneimittel thut es ſeine Dienſte, obſchon die Ärzte des himmliſchen Reiches meinen, daß Tigerknochen noh kräftiger wirken als Tigerfleiſch; die Knieſcheiben haben den größten Wert, nächſtdem folgen die beiden erſten Rippen, welche etwas weniger wert ſind. Fn anderen Ländern ſchäßgt man Zähne und Klauen, Fett und Leber höher als Fleiſ<h und Knochen. Erſtere gelten unter den Schikaris nicht bloß als beſonders wertvolle Siegeszeichen, ſondern zugleih als Shußmittel gegen Tigeranfälle; aſiatiſhe und europäiſhe Damen tragen die Krallen, in Gold oder Silber gefaßt, als Shmu>ſtü>ke. Zunge und Leber haben deshalb großen Wert, weil ſie von den Arzneikünſtlern Fndiens unter mancherlei Gebräuchen zubereitet und dann als unfehlbares Mittel an die gläubigen Abnehmer teuer verhandelt werden. Das Fett gilt als das beſte Mittel gegen gichtiſhe Beſchwerden und wird deshalb ſorgfältig aufbewahrt. Andere Gebräuche ſind bereits auf S. 400 angeführt. Das Fell wird mit irgend einem Gerbſtoffe und Schuzmittel gegen die Kerbtiere getro>net und wandert dann zumeiſt in die Hände der Europäer oder nah China. Die Kirgiſen halten es hoh und vexzieren damit ihre Köcher. Fn Europa gilt nah Lomer ein Tigerfell je nah Größe, Schönheit und Vollſtändigkeit gegenwärtig bis zu 1300 Mark.

Außer dem Menſchen ſcheint der Tiger keine gefährlichen Feinde zu haben, mit Ausnahme vielleiht des indiſhen Wildhundes (Canis dukhunensis). Dieſe ebenſo ſchnellen wie kräftigen und vornehmlich des Tages in Meuten jagenden Tiere ſollen nah Angabe der Eingeborenen gelegentlih auch einen ihnen aufſtoßenden Tiger anfallen. Sie heten, ſtellen ihn, und die kühnſten bringen ihm von hinten gefährlihe Biſſe in die Weichteile bei, bis er verwirrt und ermattet einem legten allgemeinen Angriffe erliegt. Es erſcheint durhaus niht unglaubhaſt, daß die Wildhunde bei ſolher Jagd Sieger bleiben, wenn dabei auch mancher ins Gras beißen mag.

Welches Alter ein freilebender Tiger erreichen kann, iſt ſehr ſchwierig feſtzuſtellen. Die Eingeborenen Fndiens glauben, daß man die Zahl der Jahre, die ein erlegter Tiger gelebt hat, erkennen könne aus der Zahl der Lappen an ſeiner Leber. Nur bei Sanderſon iſt eine Angabe zu finden, woraus auf die Lebensdauer eines Tigers geſchloſſen werden könnte.