Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

414 Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katen.

Die Alten lernten den Tiger erſt ſehr ſpät kennen. Jn der Bibel ſcheint ex nicht erwähnt zu werden, und auch die Griechen wiſſen no ſehr wenig von ihm. Nearchos, der Feldherr Alexanders, hat zwar ein Tigerfell geſehen, niht aber das Tier ſelbſt, von dem er dur die Fnder erfahren, daß es ſo groß wie das ſtärkſte Pferd ſei und an Schnelligkeit und Kraft alle übrigen Geſchöpfe übertreffe. Erſt Strabon ſpricht etwas ausführlicher von ihm. Den Nömern war er bis zu Varros Zeiten vollkommen unbekannt; als ſie jedoch ihr Reich bis zu den Parthern ausdehnten, lieferten dieſe au< Tiger und brachten ſie nah Rom. Plinius ſchreibt, daß zuerſt Scauxus im Fahre 743 der Stadt einen gezähmten Tiger im Käfig gezeigt habe. Claudius beſaß ihrer vier. Später kamen die Tiere öfter na< Rom, und Heliogabalus ſpannte ſie ſogar vor ſeinen Wagen, um den Bacchus vorzuſtellen. Avitus endlich ließ in einem Schauſpiele ihrer fünf töten, was früher niht geſehen worden war.

Ebenſowenig wie der Löwe hat der Tiger nahe Gattungsverwandtc; denn ſeine nächſten Gattungsgenoſſen, von denen einer, der Höhlentiger, Mitteleuropa bewohnte, ſind ausgeſtorben. Eine ſüdaſiatiſche ſtreifenfle>ige Kate, der Nebelparder, der Harimau dahan (Vaumtiger) der Malayen (Felis nebulosa, Neofelis, Tigris macroscelis, F. diardii, macrosceloides), nähert ſich durc ſeinen langgeſtre>ten Rumpf mit den kräftigen, niedrigen Beinen, den kleinen, ſehr ſtumpfen Kopf mit den gerundeten Dhren und den langen, 1weichen Pelz, deſſen Zeichnung noh mehr oder weniger an die Querſtreifung des Tigers erinnert, noh am meiſten dem Königstiger/ iſt jedo<h niht nur weit kleiner als dieſer, ſondern au< dur die auffallend niederen Beine und den fkörperlangen Schwanz unterſchieden. Die Grundfarbe ſeines Pelzes/ ein ins Aſchgraue oder Bräunlichgraue, bisweilen auch ins Gelbliche oder Rötliche ziehendes Weißgrau, ſpielt an den Unterteilen ins Lohfarbene. Kopf, Füße und Unterleib ſind mit vollen, ſ{hwarzen, rundlichen oder gekrümmten Fle>en und Streifen gezeichnet. Beiderſeits des Halſes verlaufen drei unregelmäßige Längsbinden; über den Rüen ziehen ſih zwei ähnliche hinab; ſ<hmälere Binden finden ſi< au<h an den Seiten des Kopfes. Auf der Schulter, den Leibesſeiten und Hüſten liegen unregelmäßige, winkelig geſäumte ſ{hwarze Fle>e, ebenſolche auh auf dem Shwanze. Die Mundränder ſind ſ{hwarz geſäumt, die Ohren außen ſ{<hwarz mit grauen Fle>en. Die Länge des Leibes beträgt ungefähr 1 m und iſt in einzelnen Fällen zu 95—107 cm, die des Schwanzes zu 74—92 cm gemeſſen worden. Ein altes Männchen von 170 cm Geſamtlänge wog 20,2 ke. Der Verbreitungsfkreis unſeres Tieres iſt ziemli<h ausgedehnt und umfaßt das ganze ſüdöſtliche Aſien mit den Großen Sundainſeln. Vornehmlich iſt es heimiſ<h in waldreichen bergigen Gegenden von Aſſam, Barma, Siam, der Malayiſchen Halbinſel ſowie auf Sumatra, Java unb Borneo. Jm ſüdöſtlichen Himalaja: in Sikkim, Bhutan ſteigt der Nebelparder nah Ferdon bis über 3000 m, nah Blanford wahrſcheinlich niht viel über 2000 m empor. Um Dardſchiling (2000 m) kommt ex vox, ſoll auh, nah Hodgſon, in Tibet gefunden werden, was aber zu bezweifeln, da er ein e<ter Waldbewohner iſt. Von der Fnſel Formoſa iſt eine Spielart mit kürzerem Schwanze bekannt.

Bis vor wenigen Jahren war der Nebelparder ebenſo ſelten in den Sammlungen wie in den Tiergärten, und erſt ſeit einiger Zeit ſieht man ihn in den größeren Anſtalten, doh noh immer vereinzelt. Von ſeinem Freileben wiſſen wir nihts, als was die Eingeborenen erzählen. Die der Jnſel Sumatra verſichern, daß er ni<hts weniger als wild ſei und ſi< bloß von kleineren Säugetieren und Vögeln nähre. Unter leßtere müſſen freilih auch die Haushühner gere<hnet werden, denen er oft großen Schaden zufügt. Der auf Sumatra übliche Name deutet, wie man ſagt, auf das Baumleben des Nebelparders hin. Es wird behauptet, daß er den größten Teil ſeines Lebens auf den Zweigen der Bäume verbringe, dort auth