Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

456 Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katen.

immer frei von Eiferſucht. Der ſtattliche Löwe, welcher gegenwärtig im Frankfurter Tiergarten lebt, verfolgt ſeinen Wärter — freilih nur dieſen — ſtets mit Prankenſchlägen und wütendem Gebrülle, ſobald eine ſeiner Gattinnen brünſtig und ihm zugeſellt iſt. Die Löwin zeigt ſich begehrender als der männliche Löwe. Sie iſt es, welche ſ<mei<elnd und liebkoſend an den ernſten Gemahl heranzukommen pflegt und ihn aufzufordern ſcheint; er liegt gewöhnlich ruhig ihr gegenüber, die Augen ſtarx auf ſie gerichtet, und erhebt ſi< erſt, wenn ſie ihm ſih naht. Die Begattung ſelbſt erfolgt , indem die Löwin ſi niederlegt und der Lôwe ſie übertritt und im Na>en pa>t. Ohne einiges Knurren und Fauchen von ihrer Seite geht es niht ab; ſo toll und wütend wie andere große Katen aber gebärdet ſie ſich nicht, teilt namentlih niht ſo oft Taßenſchläge aus wie jene. 15—16 Wochen oder 100108 Tage nach der Begattung wirft die Löwin 1—6, gewöhnlih aber 2—8 Junge. Die Tiere kommen mit offenen Augen zur Welt und haben, wenn ſie geboren werden, etwa die Größe von einer halb erwachſenen Kaße. Zu ihrem Wochenbette ſucht ſih die Mutter gern ein Dickicht in möglichſt großer Nähe von einem Tränkplaze, um nicht weit gehen zu müſſen, wenn ſie Beute machen will. Der Löwe ſoll ihr Nahrung herbeiſchaffen helfen und ſie und ihre Jungen, wenn es not thut, mit eigener Aufopferung ſ{hüzen. Die Löwin behandelt die Zungen gewöhnlich mit großer Zärtlichkeit, und man kann wohl kaum ein ſchöneres Schauſpiel ſi denken als eine Löwenmutter mit ihren Kindern. Die kleinen, allerliebſten Tierchen ſpielen wie muntere Käßchen miteinander, und die Mutter ſieht ernſthaft zwar, aber doh mit unendlihem Vergnügen dieſen kindlihen Spielen zu. Man hat dies in der Gefangenſchaft oft beobachtet, weil es gar nihts Seltenes iſ, daß eine Löwin hier Funge wirſt. Jn einem gut eingerichteten und geleiteten Tiergarten züchtet man gegenwärtig Löwen faſt ebenſo ſicher und regelmäßig wie Hunde; ſelbſt in Tierſchaubuden, wo die Tiere bekanntlich einen nur ſehr geringen Spielraum zur Bewegung haben und oft niht einmal genügende Nahrung erhalten, werden ſol<he geboren und großgezogen.

Zunge Löwen ſind in der erſten Zeit ziemlih unbeholfen. Sie lernen erſt im zweiten Monate ihres Lebens gehen und beginnen noh ſpäter ihre kindlichen Spiele. Anfangs miauen ſie ganz wie die Kagen, ſpäter wird ihre Stimme ſtärker und voller. Bei ihren Spielen zeigen ſie ſfi< tölpiſ< und plump; aber die Gewandtheit kommt mit der Zeit. Nah etwa 6 Monaten werden ſie entwöhnt; {on vorher folgen ſie ihrer Mutter, beziehentlich beiden Eltern, wenn auch nur auf geringe Streen hin, bei ihren Ausflügen. Gegen Ende des erſten Jahres haben ſie die Größe eines ſtarken Hundes erreiht. Anfänglich gleichen ſich beide Geſchle<hter vollkommen; bald aber zeigt ſi< der Unterſchied zwiſhen Männchen und Weibchen in den ſtärkeren und kräftigeren Formen, welche ſi bei erſterem ausprägen. Gegen das dritte Jahr hin machen ſi die Anfänge der Mähne bei dem Männchen bemerklih; doch erſt im ſechſten oder ſiebenten Fahre ſind beide vollkommen erwachſen und ausgefärbt. Das Alter, welches ſie erreichen, ſteht im Verhältnis zu dieſem langſamen Wachstume. Man kennt Fälle, daß Löwen ſogar in der Gefangenſchaft 70 Jahre gelebt haben, obwohl ſie dort auch bei der beſten Pflege ziemlih bald greiſenhaft werden und viel an ihrer Schönheit verlieren.

Jung eingefangene Löwen werden bei verſtändiger Pflege ſehr zahm. Sie erkennen in dem Menſchen ihren Pfleger und gewinnen ihn um ſo lieber, je mehr er ſi<h mit ihnen beſchäftigt. Man kann ſich kaum ein liebenswürdigeres Geſchöpf denken als einen ſo gezähmten Löwen, welcher ſeine Freiheit, ih möchte ſagen ſein Löwentum vergeſſen hat und dem Menſchen mit voller Seele ſi< hingibt. J< habe eine ſolche Löwin 2 Jahre lang gepflegt. Bachida, ſo hieß ſie, hatte früher Latif Paſcha, dem ägyptiſchen Statthalter im Oſtſudan, angehört und war einem meiner Freunde zum Geſchenke gemacht worden. Sie gewöhnte ſich in kürzeſter Zeit in unſerem Hofe ein und durfte dort frei umherlaufen. Bald folgte ſie mir