Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Lu <8: Mordluſt. Fortpflanzung. Gefangenleben. Hinfälligkeit. 527

lebendes Tier an ſi vorübergehen ſehen. Jeder an ihrem Käfig vorüberſchleihende Hund, jeder vorüberfliegende Vogel, ja ſelbſt jede dahinhuſchende Maus erregt ihre Aufmerkſamkeit aufs höchſte. Die Augen heften ſi< augenbli>li<h auf die dur das feine Gehör erſpähte Stelle, von welcher ein leiſes Raſcheln wahrnehmbar war; ſie nehmen eine maleriſche Stellung an und gewähren ein Bild des achtſamen Raubtieres, wie man ein ſchöneres kaum ſi denken kann. Entfernt ſi ein großes Beuteſtück von ihnen, ſo wird die Ungeduld ihrer Herr, und ſie führen dann wie andere gefangene große Katen die zierlihſten und gewandteſten Sätze aus, drehen und wenden ſi< in ihrem Käfig mit bewundern8würdiger Schnelligkeit, ſpringen übereinander weg, ohne daß man die geringſte Anſtrengung bemerkt, nehmen von neuem eine lauernde Stellung an 2c. Jebt ſind ſie ganz und vollſtändig bei der Sache und laſſen ſi< dur<h den Beobachter dicht vor ihrem Käfig nicht im geringſten ſtören. Al ihr Sinnen und Trachten beſchäftigt ſi< aus\{ließli< mit dem verlo>enden Wilde.

Zum Kummer aller Tiergärtner zählen ſie niht zu den Kaßenarten, welche ſi gut in Gefangenſchaft halten, verlangen vielmehr die allerſorgfältigſte Pflege. Nauhe Witterung fiht ſie allerdings wenig an, vorausgeſeßt, daß ſie einen allzeit troŒenen Lagerplaß haben und vor dem Zuge geſchüßt ſind; dagegen ſtellen ſie weit höhere Anſprüche an die Nahrung als andere Kaßen ihrer Größe, nehmen nur das beſte Fleiſch und verlangen einen Wechſel in dem ihnen dargereihten Futter, ſollen ſie dauernd ſih wohl befinden. Auch bei ſehr ſorgſamer Behandlung erliegen ſie oft plößlichen Krankheiten, von denen man durch ihr verändertes Betragen vielleicht erſt wenige Stunden vorher Kunde bekam, und gelten deshalb bei allen erfahrenen Tiergärtnern als höchſt empfindliche und hinfällige Tiere. Ganz das Gegenteil ſcheint der Fall zu ſein, wenn dem gefangenen Luchſe größere Freiheit gewährt werden fann. Wir verdanken Loewis einen ausgezeihneten Bericht über eine von ihm gefangen gehaltene Luthskaße. „Namentlich dreierlei“, ſagt unſer Gewährsmann, „iſt es, was ih mir als einer Erwähnung wert zu erachten erlaube: zuvörderſt, daß der herrſhenden Annahme zuwider au ein kaßenartiges Tier wie der Luchs in Bezug auf geiſtige Befähigung eine hervorragende Stellung unter den Raubſäugetieren einzunehmen berechtigt iſt; zweitens, daß die Geſundheit eines gefangenen, an menſchliche Behandlung gewöhnten Luchſes niht, wie man allgemein anzunehmen leider ſo oft gezwungen wurde, immer zart und ſhwer zu erhalten iſ, und endlich, daß es keinen größeren Feind für die Hauskagen gibt als den Luchs, was vielleiht das Nichtvorkommen des Luchſes und der Wildkaße in gleihen Fagdgebieten und Bezirken erklärli<h machen dürfte.

„Wenige Monate genügten, meinem jungen Luchſe ſeinen Namen Lucy genau unterſcheiden zu lehren. Unter vielen Hundenamen, welche auf der Jagd von mir genannt wurden, fand er den ſeinen ſtets heraus und leiſtete mit muſterhaftem Gehorſame dem Aufrufe Folge. Seine Abrichtung war ohne alle Mühe eine ſo feine geworden, daß er in der wildeſten, leidenſchaſtlihſten, aber verbotenen Fagd nah Haſen, Geflügel oder Schafen innehielt, falls mein drohender Zuruf ihn erreichte, beſhämt ſih zu Boden warf und nah Art der Hunde Gnade für Recht erwartete. Die Bedeutung des Flintenſchuſſes für Befriedigung ſeines Appetits lernte er raſh kennen. War er zu weit fort, um die rufende Stimme zu hören, ſo genügte das Knallen des Gewehres, ihn in angeſtrengter Eile herbeizuführen. Beſonders weſentlih für Anerkennung ſeines Denkvermögens war mir auch die Art ſeiner thatkräftigen Jagd nah Haſen und Tauben, deren Fleiſch als Kenner er gar wohl zu würdigen wußte.

„Lucy machte freiwillig, ſogar mit Liebhaberei, mir auf dem Fuße folgend, alle Herbſtjagden mit. Stand ein armer Haſe vor uns auf, oder gelangte ſonſt ein von der Meute verfolgter in die Nähe, ſo begann die hißigſte Jagd; und trobß ſeiner unbeſchreiblihen Aufregung bei ſolcher Gelegenheit behielt er ſtets ſo viel Überlegung bei, um das Verhältnis