Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

526 Vierte Ordnung: Raubtiere; erſte Familie: Katen.

bemerklih. Fn den Schweizer Alpen lauert er, laut Schinz, Dachſen, Murmeltieren, Haſen, Kaninchen und Mäuſen auf, ſ{<lei<t den Rehen in den Waldungen, den Gemſen auf den Alpen nach, berü>t Auer-, Virk-, Haſel- und Schneehühner und fällt räuberiſch unter die Schafz-, Ziegen- und Kälberherden. Der beſte Nehſtand wird von einem Luchſe, welcher dem rächenden Vlei des Jägers geraume Zeit ſich zu entziehen weiß, vernichtet / die zahlreihſte Schaf - oder Ziegenherde mehr als gezehntelt. Ein Luchs, welcher vom Förſter Wimmer im Liechtenſteinſchen Forſte bei Noſenbach gefangen wurde, hatte ſich hauptſächli<h von Rehen und Schneehaſen ernährt, aber auch die Gemſen ſehr beunruhigt und in einer Nacht einmal ſieben Schafe geriſſen, ſo daß man zuerſt nicht auf ihn, ſondern auf den Bären Verdach warf, bis der weidgerehte Jäger an der Art des Riſſes ihn erkannte. Einmal riß er aht Schafe, ohne das Geringſte von ihnen zu freſſen. Solche Fälle ſtehen keineswegs vereinzelt da. Nach Bechſtein tötete ein Luchs in einer Nacht 30 Schafe, nah Schinz ein anderer in geringer Zeit deren 30 —40 Stüc, nah Tſchudi ein dritter, welcher im Sommer des Jahres 1814 in den Gebirgen des Sunthales ſein Unweſen trieb, mehr als 160 Schafe und Ziegen. Kein Wunder daher, daß Jäger und Hirt gleihmäßig bemüht ſind, eines Lu<hſes baldmöglichſt habhaft zu werden.

Über die Fortpflanzung unſeres Naubtieres fehlt noch genügende Kunde. Jm Januar und Februar ſollen die Geſchlechter ſi< zuſammenfinden, mehrere Luskater oft unter lautem Geſchrei um die Luchskaße kämpfen und dieſe 10 Wochen nah der Paarung in einer tief verborgenen Höhle, einem erweiterten Dachs- oder Fu<hsbaue, unter einem überhängenden Felſen, einer paſſenden Baumwurzel und an ähnlichen verſte>ten Orten zwei, höchſtens drei Junge bringen, welche eine Zeitlang blind liegen, ſpäter mit Mäuſen und kleinen Vögeln ernährt, ſodann von der Alten im Fange unterrichtet und für ihr ſpäteres Räuberleben gebührend vorbereitet werden. So ungefähr ſteht es in Jagdbüchern und Naturgeſchichten; nirgends aber finde ih eine Angabe von einem glaubwürdigen Augenzeugen. Selbſt diejenigen Beobachter, welche alljährlih mit dem Luchſe zuſammenkommen, bekennen ihre Unkunde hinſichtlich der Fortpflanzung. Demungeachtet muß es do dann und wann gelingen, ein folhes Gehe>e aufzufinden, da wix jung eingefangene Luchſe erhalten und zwar in legterer Zeit, wenn au< immer ungleich ſeltener als alle großen Kaßen Afrikas, Südaſiens und Amerikas, ſo doh faſt alljährlich in einzelnen Stüen.

Gefangene Tiere dieſer Art zählen unbedingt zu den anziehendſten aller Katen. Gelangen ſie in den Beſiß eines Pflegers, ohne in ihrer Jugend eine ſorgfältige Erziehung genoſſen zu haben, ſo zeigen ſie ſi< zwar niht immer von ihrer liebenswürdigſten Seite, verfehlen aber nie, die allgemeine Aufmerkſamkeit auf ſi zu lenken. Jh habe wiederholt Luchſe gepflegt und einmal auch die beiden nähſtverwandten Arten, unſeren und den kanadiſchen Luchs, zuſammengehalten, mehrere andere in verſchiedenen Tiergärten beobachtet und kann ſomit aus eigener Erfahrung ſprechen. Sie erſcheinen im Vergleiche zu ihren Familiengenoſſen mürriſch, eigenſinnig und faul, liegen, einem in Erz gegoſſenen Bilde vergleichbar, faſt bewegungslos halbe Tage lang auf demſelben Aſte und beweiſen nur dur Zuſammenrümpfen der Lippen, dur Bewegen der Lauſcher und Lichter und endlich dur< Wedeln und Stelzen der Lunte, daß der Geiſt an der Ruhe des Leibes niht teilnimmt, ſondern ohne Unterlaß beſchäftigt iſt. Jede Handlung führen ſie mit würdigem Ernſte, verſtändiger Überlegung und eiſerner Ruhe aus. Niemals denken ſie daran, wie die übrigen Katen, gierig na< einer Beute zu ſchauen oder zu ſpringen, faſſen vielmehr das ihnen vorgeworfene Fleiſhſtü> ruhig und feſt ins Auge, nähern ſi langſam, greifen blißſhnell zu, wedeln dabei raſh und kräftig mit der ſtummelhaften Lunte und freſſen [heinbar ebenſo mäßig und gelaſſen wie ein wohlerzogener Menſch, niht mehr und nicht weniger, als ſie bedürfen, dem übrigbleibenden verächtlih den Rücken kehrend. Ganz anders iſt ihr Gebaren, wenn ſie ein