Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Luchs: Fährte. Raubweiſe. Beutetiere. 525

möglichſt flüchtig über die Blöße dahingeranntk. Demungeachtet hatte ihn der Luchs ereilt und zwar dur neun ungeheuere Sprünge von durchſchnittlich je 13 Fuß Weite. Das Raubtier hatte alſo ſein Wild förmlich gehebt und dieſem, wie aus der Fährte erſichtlich, alles Haken(lagen, ſein gewöhnliches Rettungsmittel, nichts genüßt. Man fand nur die Hinterteile des armen Lampe noh vor.“ Daß der Luchs mit mehreren Sprüngen ein Wild verfolgt, iſt übrigens eine große Ausnahme: bei den Raubanfällen, welche Frauenfeld abſpürte, war der Räuber ſeiner Beute nicht weiter gefolgt, ſondern unmittelbar nah verunglüctem Sprunge ruhig, als wäre nichts geſchehen, weiter gegangen. Auch Nol>en, dem es mehrmals vergönnt war, Stellen zu finden, wo der Luchs beſchlihen hatte, und von wo aus er auf ſeine Beute angeſprungen war, beobachtete nie, daß jener mehr als drei oder vier weite Säße gemacht hätte, und bemerkt ausdrü>li<h, daß der Luchs ſeine entgangene Beute niemals verfolge. „Sonderbarerweiſe“, fügt unſer Gewährsmann noch hinzu, „habe ih no< nie eine Stelle geſehen, wo ihm ſein Fang geglü>t wäre. Es ſcheint demnach, als ob auh im Leben des Luchſes Jagdunglü> nicht ganz ſelten ſei.“ Ebenſo oft, wie er ſeine Beute aufſucht, belauert er ſie auh und beſteigt zu dieſem Zwe>e gern Felsblö>e und günſtig gewachſene Äſte von Bäumen, von wo aus er arglos ſich nähernde Opfer beſpringt.

Als Beuteſtük ſcheint dem Luchſe jedes Tier zu gelten, welches er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Vom kleinſten Säugetiere oder Vogel an bis zum Reh oder Auerhahn und Trappen hinauf iſt ſ{<hwerlih ein lebendes Weſen vor ihm geſichert; an Rot-, Elchund Schwarzwild dürften wohl nur ausnahmsweiſe ſehr ſtarke Luchſe ſih vergreifen. Größeres Wild zieht er kleinerem entſchieden vor; mit Mäuſefangen z. B. ſcheint er ſich niht zu befaſſen: Nol>en wenigſtens hat aus ſeiner einförmigen, geſhnürten Spur nie erfehen fönnen, daß er ſi<h mit Mäuſen abgegeben hätte. Demungeachtet glaube ih, daß auch ein Mäuschen, welches ſeinen Weg kreuzt, ihm nicht entgeht. Um die Gewandtheit der Luchſe zu erproben, habe ih den von mir gepflegten wiederholt lebende Sperlinge, Ratten und Mäuſe vorgeworfen, in keinem Falle aber beobachtet, daß eines dieſer Tiere raſch genug geweſen wäre, der Klaue des Räubers zu entſhlüpfen. Der fliegende Sperling wird mit ebenſo großer Sicherheit aus der Luſt geholt, wie die im Bewußtſein der Gefahr eiligſt dem Käfiggitter zuflüchtende Ratte gefangen. Der Luchs ſtürzt ſih mit einem einzigen Sage auf die Beute und ſ<hlägt höhſt ſelten mehr als einmal nach ihr. Gewöhnlich hängt ſie nah dem Stlage feſt, iſt im Nu auh mit den Zähnen gepa>t und einige Augenbli>e ſpäter bereits eine Leiche. Nunmehr beginnt das Spiel mit der Beute nah Kaßenart. Die Ratte oder der Vogel wird vergnügt betrachtet, ſorgfältig berochen und mit einer Pranke hin- und hergeworfen. Jm Verlaufe des Spielens führt der Luchs dabei verſchiedene Sprünge und Säße aus, wie man ſie ſonſt niht von ihm bemerkt, ſ{hnuppert behaglih und wedelt fortwährend mit dem kurzen Shwanzſtummel, welcher auch bei ihm ſeine Gefühle ausdrü>en hilft. An das Freſſen denkt er erſt ſpäter, ſelbſt in dem Falle, daß er ſehr hungrig iſt.

In dem an Hohwild armen, an Niederwild reichen Norden verurſacht der Lus verhältnismäßig wenig Schaden; in gemäßigten Landſtrichen dagegen macht er ſih dem Jäger wie dem Hirten glei verhaßt, weil er nit allein weit mehr erwürgt, als er zur Nahrung braucht, ſondern auch von einer Beute nur das Blut aufle>t und die le>erſten Biſſen frißt, das übrige aber liegen läßt, Wölfen oder Füchſen zur Beute. Hier kehrt er höchſt ſelten zum Luder zurü>, während er, laut Nol>en, in dem wildarmen Livland dieſes ſehr gern annimmt und ſogar derartig darauf verſeſſen iſ, daß er ſih für einige Zeit in der Nähe desſelben feſtlegt und die Jagd ſo ziemlich an den Nagel zu hängen ſcheint. Auch dem Viehſtande fügt er in Livland wenig Schaden zu, wobei freilich zu berü>ſichtigen, daß alles Vieh vor Abend hereingetrieben und ihm ſomit keine Gelegenheit geboten wird, aus zahmen Herden Beute zu gewinnen. Ganz anders macht er in wild- und herdenreihen Gegenden ſi