Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

Luchs: von Loewis' zahmer Luchs. Kaßenhaß. 529

niht ahnend, auf wel trügeriſhem Elemente die heißerſehnte Beute ruht. Statt mit jeder Tatze eine Gans zu exfaſſen, klatſcht er ins kühle Naß; denn alles Federvieh war raſh zum Loche hinausgeſprungen oder geſhwind untergetaucht. Febt gab ih die auf dem ſpiegelhellen Eiſe verwirrten Gänſe als verloren auf; aber ſtatt nun leiht Herr über die armen Vögel zu werden, \{li<h triefend, mit geſenktem Kopfe, Scham in jeder Bewegung zeigend, niht re<ts und links ſhauend, mitten dur die Wehrloſen der Luchs ſich fort und verbarg ſih auf viele Stunden an einem einſamen Plaße. Hunger, Fagdluſt und angeborene Blutgier konnten die Beſhämung über den verfehlten Angriff niht unterdrüd>en.

„Bei der dieſem Luchſe ſtets gewährten freien Bewegung war er immer munter, ausdauernd und zum Spielen aufgelegt. Durchaus Feinſhme>er, nahm er gern nur friſches Schlachtfleiſh, Wildbret und Geflügel an. Db auch unregelmäßig genug gefüttert wurde, da auf dem Lande friſches Fleiſh zuweilen mangelt, und er nah Tagen, deren Ordnung oft Hunger und Prügel für loſe Streiche war, nicht immer Le>erbiſſen erhielt, ſo war ſeine Geſundheit denno<h dermaßen in gutem Stande, daß, als ex einſt im Winter ſtark geſalzenes, gebratenes Shweinefleiſh reihli< genoſſen, die Nacht darauf bei 10=12 Grad Kälte auf dem Dache geſchlafen und dadurch einen ſehr heftigen, bei gefangenen Wildtieren ſonſt tödlih wirkenden Darmkatarrh ſich zugezogen hatte, er ohne alle Arzneien in kurzer Zeit wiederhergeſtellt wax, ohne ſpäter je Folgen dieſer gefährlichen Krankheitserſcheinung zu verſpüren.

„Der eigentümlihſte Zug an Lucy war der glühende Haß gegen die verwandte Hausfage. Bis Wintersanfang waren alle Kaßen auf dem Pantenſchen Gehöfte ausgerottet. Mit gräßlicher Wut wurden ſie zerfleiſht. Eine einzige, ſehr beliebte Kate blieb, von den Hofleuten in der Geſindeherberge ſorgfältig geſüßt, längere Zeit unverſehrt. Der Luchs durfte nie dorthin, und die Kaße wurde nie herausgelaſſen. Eines Tages bemerkte ih Lucy unweit des Hauſes auf einem großen Haufen von Findlingsblö>en zuſammengekauert liegen. Kein Rufen, kein Locken konnte das ſonſt ſo gehorſame, gern geſellige Tier entfernen. Mit einer Geduld und Ausdauer, welhe man an dem ſtets unruhigen, beweglihen Geſchöpfe ſonſt niht wahrgenommen, verharrte dasſelbe auf ſeinem Poſten. Schon fürchtete ih ein Unwohlſein, da auh ein ſhwacher, ſonſt ſehr gemiedener Regen den Luchs niht zur Veränderung ſeiner Stellung brachte, und legte mih auf das Beobachten, als er plöglih nach ſtundenlangem Lauern wie ein Bliß herniederfuhr. Fh hörte ein entſeßliches Geſchrei, und hinzueilend fand ih die leßte der verhaßten Katen zerriſſen unter des Luchſes furchtbaren Krallen zu>end. Ob er den Feind unter den Steinen gewittert oder denſelben hatte hineinkriechen ſehen, fonnte ih leider niht in Erfahrung bringen. Nur einmal wagte ih es, Lucy zu einem Beſuche auf ein benachbartes Gut mitzunehmen. Wir waren kaum eine Stunde dort, ſo meldete ſchon der Diener, daß die weißbunte Kaße ſoeben vom Luchſe erwürgt worden jei. Auch auf Bauernhöfen war immer ſein erſtes Geſchäft das Aufſuchen und Töten der Katen, welche inſtinktiv einen ärgeren Abſcheu und größere Furcht vor ihm als vor dem biſſigſten Jagdhunde zeigten, dem ſie niemals ohne heftige Gegenwehr unterlagen, während der Luchs mit allerdings größerer Gewandtheit widerſtandslos ohne Unterſchied des Geſchlechtes und der Größe alle Kaßen augenbli>lih zerriß.

„Nachdem ih dieſen Luchs dem damaligen Bürgermeiſter zu Walk einem großen Tierfreunde, geſchenkt hatte, konnte ih ihn niht mehr ſelbſt beobachten; doh brachte ih no< nachſtehendes in Erfahrung. Unſere Luchſin begehrte während des vierjährigen Aufenthaltes in der Stadt kein einziges Mal. Die Ranzzeit ging in der Gefangenſchaft ſcheinbar ſpurlos an ihr vorüber. Wildheit oder Bosheit traten niemals hervor. Durch den ſehr hohen Preis verlo>t, hatte der Bürgermeiſter, welcher leider auh Kaufmann war, unbegreiflicherweiſe das ſhône Tier ſchließli< an eine durchziehende Tierbude unter der Bedingung verfauſt, es einige Wochen ſpäter zur Empfangnahme na<hzuſchi>en. Fn den Holzkäfig geſeßt,

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. TL 34