Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

636 Vierte ODronung: Raubtiere; dritte Familie: Marder.

Man hat ſi vergebliche Mühe gegeben, das deutſche Wort Vielfraß aus dem Schwediſchen oder Däniſchen abzuleiten. Die einen ſagen, daß das Wort aus Fjäl und Fräß zuſammengeſeßt ſei und Felſenkaße bedeute; Lenz behauptet aber, daß das Wort Vielfraß der ſhwediſchen Sprache durchaus niht angehöre, und weiſt auch die Annahme zurü>, daß es aus dem Finniſchen abgeleitet ſei. Die Schweden ſelbſt ſind ſo unſicher hinſichtlich der Bedeutung des Namens, daß jene Ableitung wohl zu verwerfen ſein dürfte. Bei den Finnen heißt das Tier Kampîi, womit man jedoch auh den Dachs bezeichnet, bei den Nuſſen Roſomacha oder Noſomaka und bei den Skandinaviern Ferf; die Kamtſchadalen nennen es Dim ug und die Amerikaner endlih Wolverene. Höchſt wahrſcheinlih wurde der Name nach den erſten Erzählungen ins Deutſche überſezt und ging nun erſt in die übrigen Sprachen über. Wenn man jene Erzählungen lieſt und glaubt, muß man dem alten Kinderreime „Vielfraß nennt man dieſes Tier, Wegen ſeiner Freßbegier !“

ſreilih beiſtimmen. Michow ſagt folgendes: „Jn Litauen und Moskowien gibt es ein Tier, welches ſehr gefräßig iſt, mit Namen Roſomaka. Es iſt ſo groß wie ein Hund, hat Augen wie eine Kaße, ſehr ſtarke Klauen, einen langhaarigen, braunen Leib und einen Shwanz wie der Fuchs, jedo<h türzer. Findet es ein Aas, ſo frißt es ſo lange, daß ihm der Leib wie eine Trommel ſtroßt; dann drängt es ſih dur zwei naheſtehende Bäume, um ſich des Unrates zu entledigen, kehrt wieder um, frißt von neuem und preßt ſih dann no<hmals durch die Bäume, bis es das Aas verzehrt hat. Es ſcheint weiter nihts zu thun, als zu freſſen, zu ſaufen und dann wieder zu freſſen.“ Fn dieſer Weiſe ſchildert auh Ges ner den Viel{raß; Olaus Magnus aber weiß no< mehr. „Unter allen Tieren“, ſagt er, „iſt dieſes das einzige, wel<hes, wegen ſeiner beſtändigen Gefräßigkeit, im nördlichen Schweden den Namen Fexrf, im Deutſchen den Namen Vielfraß erhalten hat. Sein Fleiſch iſt unbrauchbax, nux ſein Pelz iſt ſehr nüßlih und koſtbar und glänzt ſehr {<hön und noh mehr, wenn man ihn fünſtlih mit anderen Farben verbindet. Nur Fürſten und andere große Männer tragen Mäntel davon, nicht bloß in Schweden, ſondern auch in Deutſchland, wo ſie wegen ihrer Seltenheit noh viel teurer zu ſtehen kommen. Auch laſſen die Einwohner die Pelze nicht gern in fremde Länder gehen, weil ſie damit ihren Wintergäſten eine Ehre zu erweiſen pflegen, indem ſie nihts für angenehmer und ſchöner halten, als ihren Freunden Betten von ſolchem Pelze anweiſen zu können. Dabei darf ih nicht verſchweigen, daß alle diejenigen, welche Kleider von ſolchen Tieren tragen, nie mit Eſſen und Trinken aufhören können. Die Jäger trinken ihr Blut; mit lauem Waſſer und Honig vermiſcht, wird es ſogar bei Hochzeiten aufgetragen. Das Fett iſt gut gegen faule Geſhwüre 2c. Die Jäger haben verſchiedene Kunſtſtücke erfunden, um dieſes liſtige Tier zu fangen. Sie tragen ein Aas in den Wald welches noh ſriſ<h iſt. Der Vielfraß riet es ſogleich, frißt ſi<h voll, und während er ſich, niht ohne viele Qual, zwiſchen die Bäume durhdrängt, wird er mit Pfeilen erſchoſſen. Auch ſtellt man ihm Schlagfallen, wodurch er erwürgt wird. Mit Hunden iſt er kaum zu fangen, weil dieſe ſeine ſpißigen Klauen und Zähne mehr fürchten als den Wolf.“ Schon Steller widerlegt die abgeſ<hma>ten Fabeln, und Pallas gibt eine richtige Lebensbeſhreibung des abſonderlichen Geſellen.

Der Vielfraß bewohnt die gebirgigen Gegenden des Nordens, zieht z. B. die naten Höhen der ſkandinaviſchen Alpen den ungeheueren Wäldern des niederen Gebirges vor, obwohl er auch in dieſen zu finden iſt. Die ödeſte Wildnis iſt ſein Aufenthalt. Er hat keine feſtſtehenden Wohnungen, ſondern we<hſelt ſie na<h dem Bedürfnis und verbirgt ſih, wenn die Nacht hereinbricht, an jedem beliebigen Orte, welcher ihm einen S<hlupfwinkel gewährt, ſei es im Dickichte der Wälder oder im Geklüfte der Felſen, in einem verlaſſenen Fuchsbaue oder in einer anderen, natürlichen Höhle. Wie alle Marder mehr Nacht- als Tagtier, {leiht