Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

638 Vierte Ordnung: Raubtiere; dritte Familie: Marder.

Skandinavien ſi, zumal im tiefen Schnee, leiſe unter dem Winde an die vergrabenen Schneehühner heranmache, ſie in den Höhlen, welche ſi die Vögel aus\{harren, verfolge und dann mit Leichtigkeit töte. Den Jägern iſt er ein höchſt verhaßtes Tier. Mein Begleiter verſicherte mich, daß ein jedes erlegte Nenntier, welches er nicht ſorgfältig unter Steinen verborgen habe, während ſeiner Abweſenheit von dem Vielfraße angefreſſen worden ſei. Sehr häufig ſtiehlt er auch die Köder von den Fallen weg oder frißt die darin gefangenen Tiere an. Genau ebenſo treibt er es in Sibirien und Amerika. Jn den Hütten der Lappen richtet ex oft bedeutende Verwüſtungen an. Er bahnt ſich mit ſeinen Klauen einen Weg dur< Thüren und Dächer und raubt Fleiſh, Käſe getro>neten Fiſh und dergleichen, zerreißt aber auh die dort aufbewahrten Tierfelle und frißt, bei großem Hunger, ſelbſt einen Teil derſelben. Während des Winters iſt er Tag und Nacht auf den Beinen, und wenn er ermüdet, gräbt er ſich einfa ein Loch in den Schnee, läßt ſich dort verſchneien und ruht in dem nun ganz warmen Lager behaglih aus.

Eine kleine Beute, welche der Vielfraß gemacht hat, verzehrt er auf der Stelle mit Haut und Haaren, eine größere aber vergräbt er ſehr ſorgfältig und hält dann noch eine zweite Mahlzeit davon. Die Samojeden behaupten daß er auh Menſchenleichen aus der Erde ſcharre und ſi zeitweilig von dieſen nähre.

JZnfolge ſeiner umfaſſenden Thätigkeit als Naubtier ſteht der Vielfraß bei ſämtlichen

nordiſchen Völkerſchaften keine38wegs in beſonderer Achtung, und man jagt, verfolgt und tötet ihn, wo man nur immer kann, obgleich ſein Fell keineswegs überall benußt wird. Die Kamtſchadalen freilih ſhägen es ſehr hoh und glauben, daß es kein ſchöneres Nauchwerk geben kann als eben dieſes Fell. Gerade die weißgelben Felle, welche von den Europäern für die ſ{le<teſten gehalten werden, gelten in ihren Augen als die allerſchönſten, und ſie ſind ſeſt überzeugt, daß der Gott des Himmels, Bulutſchei, Vielfraßkleider trage. Die gefallſüchtigen Weiber befeſtigen zwei Vielfraßfell-Stücke von Handgröße an dem Kopfe, oberhalb der Ohren; man kann fich deshalb ſeiner Frau oder Geliebten nicht beſſer verbindlih machen, als wenn man ihr derartige Noſomakenfle><en kauft, deren Preis dort dem eines Viberſelles gleihgeahtet wird. Die Liebhaberei für dieſe Fle>chen geht ſo weit, daß die Frauen, welche keine beſißen, gefärbte Fellſtü>e aus dem Balge einer Seeente tragen. Steller fügt hinzu, daß troß des hohen Wertes gedahter Felle Vielfraße in Kamtſchatka häufig ſind, weil die Einwohner es niht verſtehen, ſie zu fangen, und bloß zufällig einen erbeuten, welcher ſi<h in die Fuchsfallen verirrt. ' Der Eskimo legt ſich vor der Höhle des Vielfraßes auf den Bauch und wartet, bis derſelbe herauskommt, ſpringt dann ſofort auf, verſtopft das Loh und läßt nun ſeine Hunde los, welche zwar ungern auf ſoles Wild gehen, es aber doch feſtmachen. Nunmehr eilt der Jäger hinzu, zieht dem Räuber eine Schlinge über den Kopf und tötet ihn. Jn Norwegen und Lappland wird er mit dem Feuergewehre erlegt.

Trob ſeiner geringen Größe iſt der Vielfraß kein zu verahtender Gegner, weil unverhältnismäßig ſtark, wild und widerſtandsfähig. Man verſichert, daß ſelbſt Bären und Wölfe ihm aus dem Wege gehen; lettere ſollen ihn, wahrſcheinlih ſeines Geſtankes wegen, überhaupt niht anrühren. Gegen den Menſchen wehrt er ſi bloß dann, wenn ex niht mehr ausweihen kann. Gewöhnlich rettet er ſih angeſihts eines Jägers durch die Flucht, und wenn er getrieben wird, auf einen Baum oder auf die höchſten Felsſpißen, wohin ihm ſeine Feinde nicht nachfolgen können. Von raſchen Hunden wird er in ebenen, baumloſen Gegenden bald eingeholt, verteidigt ſi< aber gegen ſie mit Mut und großer Geſchi>lichkeit. Ein einziger Hund wird ihn kaum überwältigen können; zuweilen wird es au< mehreren ſ{wer, ihn zu beſiegen. Wenn er vor ſeinen Verfolgern nicht auf einen Baum entkommen kann, wirft er ſih auf den Rü>en, faßt den Hund mit ſeinen ſcharfen Krallen, wirft ihn zu