Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

404 Elfte Dronung: Paarzeherz; dritte Familie: Horntiere.

niht unweſentlih verſchieden ſein; ih glaube jedoch, daß es ſi bei beiden einzig und allein um örtliche Spielarten handelt, wie ſolche bei den meiſten weitverbreiteten Säugetieren beobachtet werden, und trage deshalb Bedenken, beide Formen als beſondere Arten aufzuführen.

Als die wahre Heimat der Gemſe dürfen die Alpen bezeichnet werden. Jhr Verbreitungsgebiet dehnt ſi< allerdings no< bedeutend weiter aus, da Gemſen auch in den Abruzzen, Pyrenäen, den Gebirgen der kantabriſchen Küſte, Dalmatiens und Griechenlands, auf den Karpathen, insbeſondere den Gipfeln der Hohen Tatra, den Transſylvaniſchen Alpen und endli<h auf dem Kaukaſus, in Tauxrien und Georgien gefunden werden; als Brennpunkt dieſes Gebietes dürfen wir jedo<h unſere Alpen anſehen. Vergeblich hat man ſie in Norwegen einzubürgern verſucht, hat die Angelegenheit freili<h au< niht mit Nachdru betrieben. Jn den Alpen findet ſie ſih gegenwärtig in der Schweiz ſelten, jedenfalls in ungleih geringerer Anzahl als in den öſtlihen Alpen, wo ſie namentlih in Dberbayern, Salzburg und dem Salzkammergute, Steiermark und Kärnten gehegt und geſchont dur< wohlhabende und jagdverſtändige Großgrundbeſißer oder Jagdpachter, in ſehr bedeutender Menge lebt. Auch die ſteilen, unzugänglichen Höhen der Mittelkarpathen beherbergen ſie, obgleich ſie dort feine Hegung genießt, in erfreuliher Anzahl.

Die allgemein verbreitete Meinung, daß die Gemſe ein Alpentier im engſten Sinne des Wortes ſei, d. h. aus\<ließli< über dem Waldgürtel, in unmittelbarer Nähe der Gletſcher fi< umhertreibe, iſt falſch; denn ſie gehört von Hauſe aus zu den Waldantilopen. Überall/ wo ſie geſchont wird, bewohnt ſie mit entſchiedenſter Vorliebe jahraus jahrein den oberen Holzgürtel. Von dieſem aus ſteigt ſie im Sommer allerdings in mehr oder minder großer Anzahl zu den höheren Lagen des Gebirges empor, hält ſi<h wochen- und monatelang in der Nähe des Firnſchnees und der Gletſcher auf, die höchſtgelegenen Matten und das baumloſe Gefelſe zeitweilig zu ihrem Aufenthalte erwählend; die Mehrzahl aller Gemſen eines Gebietes aber wird au< im Laufe des Sommers im oberen Waldgürtel angetroffen, und ſelbſt die ſogenannten Grat: oder Gletſchertiere finden ſich bei heftigem Unwetter, insbeſondere vor ſtarken Stürmen, welche ſie oft ſhon zwei Tage vorher zu ahnen ſ{<einen, oder im Spätherbſte und Winter im Walde ein, kehren jedo<h ſobald wie möglih wieder zur gewohnten Höhe zurü>, weil hier der Schnee faſt immer früher abgeweht wird oder wegtaut als im Thale. Der zeitweilige Stand wird im Sommer auf den weſtlihen und nördlichen Bergſeiten, in den übrigen Jahreszeiten dagegen auf den öſtlihen und ſüdlichen gewählt, und dies erklärt ſich auh einfa<h dadurch, daß die Gemſe, wie alles feinſinnige Wild, ihren Aufenthaltsort der jeweiligen Witterung anpaßt. Ungeſtört hält das Rudel ſo ziemlih an demſelben, freilich ſtets weit begrenzten Stande feſt; doh wechſelt es ebenſo ohne äußere Urſache, und zwar je nach der Gegend verſchieden weit, mir gewordenen glaubwürdigen Mitteilungen erfahrener Gemsjäger zufolge ſogar bis zu 10 oder 12 Gehſtunden weit, gelangt dabei zuweilen, obſchon in ſeltenen Fällen, au< wohl in Gebiete, in denen ſeit Menſchengedenken Gemswild niht mehr vorgekommen iſt. Alte Böe ſind zu derartigen Streifzügen ſtets mehr geeignet als Geißen und junge Böke oder überhaupt Gemſen, welche ſi< rudeln.

Die Gemſe pflegt des Nachts zu ruhen. Mit Beginn der Morgendämmerung erhebt ſie ſi< von dem Lager, auf welches ſie ſi< mit Dunkelwerden einthat, und tritt auf Äſung, hierbei in der Regel langſam abwärts ſchreitend; die Vormittagsſtunden verbringt ſie wiederkäuend im Schatten vorſtehender Felſen oder unter den Zweigen älterer Schirmtannen, größtenteils, auf den zuſammengebogenen Läufen liegend, behaglih hingeſtre>t; um die Mittagszeit ſteigt ſie langſam bergauf, ruht nahmittags wiederum einige Stunden unter Bäumen, auf vorſpringenden und glatten Felſenplatten, auf Firnſchnee und ähnlichen Örtlichkeiten, meiſt auf freien und niht auf beſtimmten, regelmäßig wieder aufgeſuchten