Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Gemſe: Weſen, Spiele. Fortpflanzung. 409

maſſenhafte Auftreten der Schafe weniger, als ihnen der Geru<h des Schafdüngers widerlich iſt. Die Ziegen, welche ihnen no< mehr als die Schafe nachſteigen, die meiſten der von ihnen bewohnten Pläße beſuchen können und deshalb viel mehr angethan ſcheinen, ſie zu behelligen, werden von ihnen durhaus niht gemieden, im Gegenteile oft freiwillig aufgeſuht. Auch Rinder, Hirſche und Rehe haben die Gemſen gern, fürchten ſih wenigſtens niht vor ihnen und erſcheinen niht ſelten in deren unmittelbarer Nähe.

Gegen die Paarungszeit hin, welhe um Mitte November beginnt und bis Anfang Dezember währt, finden ſih die ſtarken Böcke bei den Nudeln ein, ſtreifen von einem zum anderen, laufen ununterbrochen hin und her und verlieren dabei ihr Feiſt in 6—8 Tagen. So ſchweigſam ſie während der übrigen Zeit des Jahres zu ſein pflegen, ſo oft laſſen ſie jest ihre Stimme, ein ſ{hwer zu beſchreibendes dumpfes und hohles Grunzen, vernehmen. Bei ihrem Erſcheinen ſtieben die jungen Böke erſchre>t àuseinander; alte Reen dagegen, welche ſih bei einem Rudel treffen, halten regelmäßig ſtand und kämpfen miteinander, da der ſtarke Bo>k einen zweiten niht bei dem Nudel duldet, und ob dasſelbe auh aus 30 bis 40 Stü beſtehe. Jhre Eiferſuht wird nur von ihrem Ungeſtüme überboten: mißtrauiſh ſpähen ſie in die Runde, in ihrer Erregung zuweilen ſogar den Jäger überſehend und vergeſſend; kampfluſtig gehen ſie jedem von fern ſi zeigenden ſtarken Boke entgegen und nehmen, ſowie er ſtandhält, mit ihm den Kampf auf. Gegen die Geißen zeigen \ih die verliebten Böke ungeduldig und rü>ſi<tslos, treiben ſie heftig und mißhandeln diejenigen, welche niht gutwillig ſih fügen wollen. Wie bei den Hirſchen geſchieht es, daß ſie oft um der Minne Sold geprellt werden, da ſie vor lauter Eifer nicht zum Beſchlage kommen und junge Vöe ſi jede Gelegenheit zu nuße machen, um den auch bei ihnen ſih regenden Geſ<le<tstrieb zu befriedigen. Letterer ſcheint bei den Geißen niht minder lebhaft zu ſein als bei den Böden. So ſpröde ſi jene anfänglich zeigen, ſo willig geben ſie ſi ſpäter den Liebfoſungen des Botes hin, fordern dieſen, wie Beobachtungen dargethan haben, ſogar förmlich zum Veſchlage auf und begnügen ſi keineswegs mit einer ein- oder zweimaligen Paarung. Uber die Trächtigkeitsdauer widerſprechen ſich die Angaben verſchiedener Beobachter. Shöpff, auf deſſen Mitteilungen ih zurückkommen werde, erfuhr, daß ſeine gefangenen Gemſen genau 150 Tage nac der Paarung ſeßten, und konnte um ſo weniger getäuſcht werden, als die Böswilligkeit des Boes ſeine Abſperrung nac dem Beſchlage nötig machte; alle Gemſenjäger dagegen nehmen eine längere Tragzeit an. Jn den Alpen Steiermarks und Kärntens beginnt die Brunft nicht vor der ſhon angegebenen Zeit und ſcheint gegen den 10. Dezember hin beſtimmt zu Ende zu ſein; die Saßzeit aber fällt erſt in die lezten Tage des Mais oder in den Anfang des Junis, und es würde ſomit die Trächtigkeitsdauer auf etwa 28 Wochen oder 200 Tage anzunehmen ſein. Je nah der Lage, Höhe und Beſchaffenheit des Gebirges verrüd>en ſi<h Brunſt: und Sagzeit um einige Tage, möglicherweiſe um Wochen; ſhwerli< aber unterliegt die Tragzeit ſo großen Schwankungen, wie dies aus den beiden ſi entgegenſtehenden Angaben hervorzugehen ſcheint. Alte Geißen ſeßen manhmal zwei, in Ausnahmefällen ſogar drei, jüngere ſtets nur ein Kißchen.

Die Jungen, allerliebſte, mit dichten, wolligen, blaßfahlroten Haaren bekleidete Geſchöpfe, folgen ihrer Mutter, ſobald fie tro>en geworden ſind, auf Schritt und Tritt und zeigen ſh ſhon nach ein paar Tagen ebenſo gewandt wie dieſe. Mindeſtens 6 Monate lang behandelt ſie die Geiß mit der wärmſten Zärtlichkeit zeigt ſih äußerſt beſorgt um ſie und lehrt und unterrichtet ſie in allen Notwendigkeiten des Lebens. Mit einem entfernt an das Me>ern der Ziege erinnernden Laute leitet ſie ihre Sproſſe, lehrt ſie klettern und ſpringen und macht ihnen unter Umſtänden manche Sprünge abſichtlich ſo lange vor, bis ſie ge[hidt genug ſind, das Wageſtü>k auszuführen. Die Zungen hängen mit inniger Zärtlichkeit an ihrer Mutter und verlaſſen ſie, ſolange ſie jung ſind, niht einmal im Tode.