Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Rotſpießhirſ<. Reh. 493

Solange ſie jung ſind, betragen ſie ſih zutraulih und zahm, älter geworden, werden ſie bö8artig; denn niht bloß die Hirſche, ſondern auch die Tiere gehen auf den Mann. Fung eingefangene Spießhirſche halten anfänglih gern an ihr Haus, entfernen ſih aber ſpäterhin immer mehr von der Wohnung und bleiben ſ{ließli< gänzlih weg, wenn ſie au< ihren alten Aufenthaltsort nicht völlig vergeſſen. Rengger ſah einen, welcher 10 Monate früher entflohen war, in ſeiner heimatlihen Wohnung Schuß ſuchen, als er von einigen Hunden verfolgt wurde.

Ein Tier, welches ih geraume Zeit pflegte, war ein überaus anmutiges, lieben8würdiges Geſhöpf. Wahrſcheinlich hatte es von Jugend auf in Geſellſchaft des Menſchen gelebt, bewies dieſem wenigſtens Vertrauen und Anhänglichkeit. F< durfte es berühren, ſtreicheln, vom Boden aufheben, wegtragen, ohne daß es au< nur einen Verſuch zur Flucht oder zum Widerſtande machte. Jhm geſpendete Liebkoſungen erwiderte es dur< Bele>en der ihm ſ<hmeichelnden Hand oder des Geſichtes ſeiner Freunde. Mit anderen Hirſchen vertrug es ſich aus3gezeihnet; ih habe es überhaupt nur als ein friedfertiges, ſanftes, ja zärtliches Weſen kennen gelernt. Das rauhe Klima Norddeutſchlands behagte ihm wenig, doch zeigte es ſi<h minder froſtig, als ih erwartet hatte. Regen fürchtete es niht, ließ ſih vielmehr öfters tüchtig einnäſſen. Dagegen ſuhlte es ſih nie; ſ<hmußige Feuchtigkeit ſchien ihm verhaßt zu ſein. Scharfe Winde mied es ängſtli<h und ſuchte ſtets vor ihnen im Fnneren ſeines Stalles Sub. Von den in ſeinem Gehege wachſenden Gräſern nahm es nur ſelten ein Hälmchen an: es bevorzugte tro>ene Äſung und, wohl infolge der Angewöhnung, vor allem Brot und Zwieba>.

Die Jagd der Spießhirſche iſt ſehr einfa<h. Man hett ſie mit Hunden oder ſchießt ſie auf dem Anſtande, welcher dem Jäger den meiſten Erfolg verſpricht. Außer dem Menſchen ſtellt ihnen Raubgetier aller Art nah. Das Fell wird höchſtens zu Sattelde>en benußtt, das Wildbret gern gegeſſen. '

Das Reh vertritt eine beſondere Gattung (Capreolus), deren Merkmale in dem drehrunden, wenig verzweigten, gabelig veräſtelten, rauhen und oft ſhön geperlten Geweihe ohne Augenſproſſe zu ſuchen ſind. Das Gebiß beſteht aus 32 Zähnen, da die E>zähne fehlen oder doh nurx ſehr ſelten vorkommen.

Das Reh (Capreolus capraea, Cervus pygargus und capreolus, Capreolus yulgaris und pygargus) wird 1,3 m lang und am Kreuze bis 75 cm hoch; das Stumpfſhwänzchen errei<ht faum eine Länge von 2 cm. Sein Gewicht beträgt 20—25, in ſeltenen Fällen ſogar bis 30 kg; die Rie iſt ſ{<wächer. Jm Vergleiche zum Edelhirſche iſt das Reh gedrungen gebaut, der Kopf kurz und abgeſtumpft, der Hals ſ<hlank und länger als der Kopf, der Leib verhältnismäßig wenig ſ{<hlank, vorn etwas ſtärker als hinten, auf dem Nücken faſt gerade, am Widerriſte niedriger als am Kreuze; die Läufe ſind hoh und ſ{hlank, die Hufe lein, ſ<mal und ſpißig, die Lichter ſind groß und lebhaft, am oberen Lide lang gewimpert, ihre Zhränengruben ſehr klein, eigentlih nur <hwa< angedeutet, da ſie bloß bis 6 mm lange, ſeichte, kahle Vertiefungen von abgerundeter, dreieckiger Geſtalt bilden; das Gehör iſt mittellang und ſteht weit auseinander. Das Gehörn zeihnet ſich dur< breite Roſen und durch verhältnismäßig ſtarke, mit weit hervortretenden Perlen beſeßte Stangen aus. Gewöhnlich ſeßt die Hauptſtange nur zwei Sproſſen an; allein die Entwickelung, welche das Nehgehörn erreichen kann, iſ damit noh niht beendet. „Die jagdmäßige Zählung der Gehörn-Enden“, ſagt Blaſius, „beabſichtigt niht, einen Ausdru> für das Naturgeſeß der Gehörnbildung zu geben. Will man das tierkundliche Bildungsgeſeß aus\prechen, ſo fommt es weniger auf die Anzahl der Enden als auf die Geſamtform des Gehörnes an, in