Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Zu>@ereichhorn: Verbreitung. Bewegungen. Gefangenleben. 677

beliebig zu ändern. Schon wenn es aus einer Höhe von 10 m abſpringen kann, iſt es fähig, einen 20—80 m von ihm entfernten Baum zu erreichen.

An Bord eines Schiffes befand ſih ein Zu>kereichhorn, dem man geſtatten durfte, frei auf dem Schiffe umherzulaufen. Das muntere Geſchöpf, die Freude der ganzen Schiffsmannſchaft, war an Bord ſo vertraut geworden, daß es bald auf den höchſten Maſtſpizen, bald unten im Raume geſehen werden konnte. Eines Tages kletterte es bei heftigem Winde nach ſeinem Lieblingsplaße, der Maſtſpibe, empor. Man beſorgte, daß es während eines ſeiner Sprünge vom Sturme erfaßt und in das Meer geworfen werden möchte, und einer der Matroſen entſchloß fih, ſeinen Liebling von oben herunterzuholen. Als ex dem Tiere nahe auf den Leib rüd>te, ſuchte ſich dieſes der ihm unangenehmen Gefangennahme zu entziehen und vermittelſt eines ſeiner herrlichen Luftſprünge das De zu erreichen. Jn demſelben Augenbli>e legte ſi<h das Schiff, von einem heftigen Windſtoße erfaßt, derart auf die Seite, daß das Tier aller Berehnung nach in die Wellen geſhleudert werden mußte. Man gab es bereits verloren, aber es wußte ſi zu helfen. Plößlich änderte es dur eine geſhi>te Wendung ſeines vortrefflichen Steuerruders die Nichtung jeines Fluges und ſchoß, in großen Bogen ſich drehend, weit aus nach vorn, glü>lich das ſichere De> erreichend. Alle Beobachter ſind einſtimmig in der Bewunderung dieſer Flugbewegung und verſichern, daß ſie mit ebenſoviel Zierlihkeit wie Anmut ausgeführt würde und ſhwerlih ihresgleihen haben könne. Überhaupt iſt das Zu>ereichhorn ein ſehr nettes Tier, wenn auh nicht gerade harmlos, ſo doh leiht zähmbar, dabei in der Nacht überaus lebendig, munter und luſtig, nur leider immer etwas fur<tſam. Während ſeines Schlafes kann es von einem geſchi>ten Kletterer leicht gefangen werden, zumal wenn mehvere zu ſolcher Jagd ſih verbinden; denn das Licht blendet es ſo, daß es, auh wenn es von ſeiner Fluggabe Gebrau<h macht, den ins Auge gefaßten Zweig verfehlt und anſtatt auf dem ſicheren Baume, auf dem Boden anlangt, wo es der Menſch ſehr bald erreicht. Man findet es gar nicht ſelten in den Häuſern der Anſiedler, welche es mit großer Sorgſalt pflegen. Sein Verſtand iſt gering, aber es erſet durch ſeine Luſtigkeit und Heiterkeit, dur< Sanftmut und Zierlichkeit einigermaßen den Mangel an geiſtigen Fähigkeiten. Jm Käfige ſpringt es während der ganzen Nacht ohne Unterlaß umher und nimmt dabei oft die wunderlihſten Stellungen ein. Ohne große Mühe gewöhnt es ſi an allerlei Koſt, wenn ihm auch Früchte, Knoſpen und Kerbtiere das Liebſte bleiben, ſhon weil dieſe Stoffe ſeiner natürlichen Nahrung entſprehen. Beſonders gern frißt es den Honig der Eukalypten, und ſicherlich bilden auch die Kerbtiere einen nicht unbedeutenden Teil ſeines Futters. Bei Gefangenen im Londoner Tiergarten hat man beobachtet, daß ſie tote Sperlinge und Fleiſchſtü>e, welche man ihnen brachte, ſehr gern verzehrten, und deshalb glaubt man, daß ſie in der Nacht geräuſchlos nah Art der Loris an ſchlafende Vögel und andere kleine Tiere ſich anſchleihen und ſie umbringen. Jn manchen Gegenden richten ſie unter den Pfirſichen und Apfelſinen erheblihen Schaden an.

Die Geſelligkeit iſt bei dem Zu>ereichhorne ſehr ausgeprägt. Man findet in den Wäldern immer mehrere derſelben Art vereinigt, obgleich es nict ſcheint, als ob eines das andere beſonders freundſchaftli<h und liebevoll behandele. Jn der Gefangenſchaft befreundet es ſich wohl au< mit anderen kleinen Tieren und zeigt ſelbſt gegen den Menſchen eine gewiſſe Anhänglichkeit. Über das Gefangenleben gibt Bennett einige Mitteilungen. Er erhielt ein junges Weibchen und brachte es mit ſi nah Europa. „Obgleich noh jung“, ſagt er, „ſand ich es doh ſehr wild und garſtig. Es ſpu>te, knurrte und ſchrie, wenn man es nahm, und begleitete dabei jeden Ton mit Kraßen und Beißen. Die Nägel waren \harf und verurſachten Wunden, wie die, welhe einem die Katen beizubringen pflegen; die fkleiuen Zähne dagegen waren nicht hinreichend etwas auszurihten. So viel iſt ſicher, daß