Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Häher. Unglückshäher. 457

Bei ſeinen Ausflügen nach einzeln ſtehenden Eichbäumen fällt er dem Wanderfalken zur Beute. Nachts bedroht ihn der Uhu und vielleicht auh der Waldkauz; das Neſt endlich wird dur< den Baummarder geplündert. Andere gefährliche Gegner ſcheint der wehrhafte Geſell nict zu haben; der Beſtand der Häher vermehrt ſih in beſorgniserregender Weiſe. Wettergeſtählt und niht wähleriſ<h in ſeiner Nahrung, klug, liſtig und verſhmibßt, hat der Vogel ohnehin wenig zu leiden. Vierfüßige Raubtiere entde>t er gewöhnlich eher, als ſie ihn, und verleidet ihnen dur<h fortwährendes Verfolgen und fürchterlihes Schreien oft genug die Jagd. Dem Menſchen gegenüber zeigt er ſich ſtets vorſichtig und, wenn er einmal verſcheucht wurde, ungemein ſcheu, foppt auh den Jäger nah Herzensluſt und ärgert ihn, weil er andere Tiere vor ihm warnt. So ſind leider alle Bedingungen für ſeine ſtetige Vermehrung gegeben. Der Fang iſt Sache des Zufalles. Einer oder der andere naſcht von den Beeren auf Vogelherden oder in Dohnenſtegen und kommt dabei lebend in die Gewalt des Menſchen; die Mehrzahl aber, die man in Gefangenſchaft ſieht, wurde jung aus dem Neſte genommen. An alt eingefangenen hat man wenig Freude, weil ſie ſelten zahm werden; jung aufgezogene hingegen können ihrem Beſißer viel Vergnügen gewähren. Auch ſie lernen unter Umſtänden einige Worte na<hplaudern, öfters kurze Weiſen nachpfeifen. Daß ſie im Geſellſchaftsbauer niht geduldet werden dürfen, braucht kaum erwähnt zu werden; denn ihre Raubſucht verleugnen ſie nie.

An der nördlihen und öſtlihen Grenze des Verbreitungsfreiſes unſeres Eichelhähers beginnt das Wohngebiet des Unglücshähers (&arrulus infaustus, Perisoreus infaustus, Pica infausta, Corvus infaustus, russicus und sibiricus, Lanius infaustus, Abbildung S. 458). Von dem vorſtehend beſchriebenen Verwandten unterſcheiden ihn vor allem der ſehr ſ<lanke, auf dem Firſte bis gegen die Spigze hin gerade, vor ihr ſanft abwärts, längs der Dillenkante ſtärker gebogene, vor der Spiße ſ<hwa<h gezahnte Schnabel, ſodann der kurzläufige Fuß, der etwas geſteigerte Shwanz und das ſehr weiche, ſtrahlige, auf dem Kopfe nicht verlängerte Gefieder. Leßteres iſt auf Oberkopf und Na>en rußbraun, auf Rücken und Mantel düſter bleigrau, auf Hinterrü>ken und Bürzel fuhsrot, auf Kinn, Kehle und Bruſt ſchwach grünlihgrau, auf Bauch und Steiß rötlich; die Federn, welche die Naſenlöcher de>en, ſind ſ<hmußig gelbbraun, die Schwingen innen rußbraun, außen bräunlichgrau, an der Wurzel meiſt rötlich, die größeren Flügelde>federn mehr oder minder vollſtändig lebhaft rotbraun, die kleinen Deffedern bräunlichgrau, die Steuerfedern, mit Ausnahme der beiden mittleren bleigrauen, lebhaft fuchsrot, die beiden Paare zunächſt der Mittelfedern an der Spitze bleigrau. Das Auge iſt dunkelbraun, der Schnabel wie der Fuß ſ{hwarz. Die Länge beträgt 31, die Breite 47, die Fittich- wie die Schwanzlänge 14 em.

Das Verbreitung®gebiet erſtre>t ſi<h von Finnmarken bis zur Jnſel Sachalin und von der nördlihen Baumgrenze bis zum 60. Breitengrade, in Sibirien wohl noch etwas weiter na< Süden hinab. Von hier aus beſucht er dann und wann niedere Breiten und hat ſich bei dieſer Gelegenheit wiederholt au< in Deutſchland eingefunden. Jnnerhalb ſeines Wohngebietes iſt er niht gerade ſelten, kaum irgendwo aber ſo häufig wie unſer Häher. Jn den Waldungen zu beiden Seiten des unteren Ob kann er keine ſeltene Erſcheinung ſein, da wir ihm bei unſerem flüchtigen Durchſtreifen der Gegend mehrere Male begegneten. Seinen Aufenthalt ſcheint er beſonders da zu nehmen, wo die Bäume ſehr dicht und auf feuchtem Grunde ſtehen, au<h mit langen Bartflechten behangen ſind. Hier macht ſich der Vogel dur ſeinen Ruf bald bemerkli<h. Paarweiſe oder in kleinen Geſellſchaften durchzieht er den Wald, durchſucht raſh die Bäume und fliegt weiter.

Sein Betragen iſt höchſt anmutig, aber mehr dem eines Häherlinges als dem unſeres Hähers ähnelnd, der Flug von dem des leßtgenannten gänzlich verſchieden, ungemein leiht