Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Unglücéshäher: Weſen. Zutraulichkeit. Nahrung. Fortpflanzung. 459

Beide Gatten eines Paares wie auch die Glieder eines Trupps hängen treu aneinander. Das erſte Männchen, welches ih ſ{hoß, na<hdem ih das Weibchen gefehlt, fiel flügellahm vom Baume herab und erhob, als ih es aufnehmen wollte, ein ziemlih lautes, wie „gräe geräe“ flingendes Kreiſchen. Sofort eilte das Weibchen, beſtändig lo>end, herbei, ſette ih in meiner unmittelbaren Nähe auf einen Baum, fam aber, als ih den ſchreienden Gefährten ergriffen hatte, bis auf 2m an mi<h heran, lo>te fortwährend und verharrte ſo zäh in der Nähe ſeines unglü>tlihen Genoſſen, daß ih dieſen endlih wieder auf den Boden werfen mußte, um zurü>gehend die rihtige Entfernung zum Schuſſe nehmen zu können; anderenfalls würde ih es in Feten zerſchoſſen haben. Als aus der bereits erwähnten Geſellſchaft einer erlegt wurde, kamen alle übrigen ſofort zur Stelle, um ſih über das Schickſal ihres Gefährten zu vergewiſſern, und verließen erſt, nahdem noh ein zweiter Schuß gefallen wax, den Unglü>8ort.

Von anderen Beobachtern, die weit mehr Gelegenheit zur Beobachtung des Vogels hatten als i< während unſerer eiligen Reiſe dur<h Weſtſibirien, erfahren wir wenig mehr als genaue Angaben über das Vorkommen; alle aber ſtimmen darin überein, daß ſie den Unglücéshäher als einen überaus zutraulichen und neugierigen Geſellen bezeihnen. Nilsſon behauptet, daß er Holzmachern zuweilen auf den Hut fliege; Schrader erzählt, daß er mit den Renntierlappen auf vertrauteſtem Fuße lebe und ſie oder ihre Herden zu den Ruhepläßen geleite, die harmloſen Hirten aber beſtimmt vom Jäger unterſcheide. Am eingehendſten berihten Wolley über Fortpflanzung und Gefangenleben, Sommerfelt, Collet und Sundſtröm über die Nahrung.

Hinſichtlich leßterer erweiſt ſi<h unſer Vogel als e<hter Häher, weil Allesfreſſer im vollſten Sinne des Wortes. Fm Herbſte und Winter bilden Beeren und Sämereien, namentlih ſolche der Arve und anderer Nadelholzbäume, wohl den Hauptteil ſeiner Mahlzeiten. Die von uns erlegten Unglückshäher hatten faſt aus\<hließli<h Beeren und Kerbtierreſte im Magen. Später, wenn hoher Schnee die Beerengeſträuche verde>t, nimmt er zu den Nadelholzzapfen ſeine Zuflucht. Er klettert wie eine Meiſe im Gezweige herum, zerbricht die Zapfen auf einem ſtärkeren Aſte und hämmert und klaubt die Samen heraus. Gegen den Winter hin legt er ſih Vorratskämmerchen an und ſpeichert in ihnen oft eine Menge von Körnern auf, muß aber freilih häufig genug erfahren, daß Eichhörnchen und Mäuſe oder Spechte und Meiſen ſeine Schäße plündern. Während der Brutzeit des Kleingeflügels wird er zu einem ebenſo graufamen Neſträuber wie der Eichelhäher, verzehrt auh erwachſene kleine Vögel und kleine Säugetiere, die er exlangen kann, frißt von dem zum Tro>nen aufgehängten Renntierfleiſche oder den in Schlingen gefangenen Nauchfußhühnern, ſoll ſogar Aas angehen. '

Nordvy teilte mir mit, daß der Unglückshäher, der am Varanger Fjord nicht ſelten iſt, bereits im März zum Neſtbaue ſchreite, ſpäteſtens aber im April brüte. Das Neſt, das er mir gab, war ein großer Bau, welcher äußerlich aus Reiſern, Gräſern, Moos und dürren Flechten beſtand, innen aber eine außerordentlich dichte Lage von Haaren und vor allem von Schneehuhnfedern enthielt, die eine ebenſo weihe wie warme Neſtmulde bildeten. Alle Neſter, die durh Wolleys Jäger geſammelt wurden, ſtanden auf Fichten, nahe am Stamme und meiſt ſo niedrig, daß man ſie vom Boden aus mit der Hand erreichen konnte. Die 3—5 Eier ſind etwa 31 mm lang, 21 mm di> und auf {hmußigweißem bis blaß grünlichweißem Grunde mit rötlihgrauen Schalen- und lichter oder dunkler braunen Oberfle>en verſchiedener Größe gezeichnet. Beide Eltern lieben ihre Brut ſehr, verhalten ſih am Neſte ganz ſtill, um es niht zu verraten, und ſuchen bei Gefahr dur< Verſtellung den Feind zu täuſchen und abzulenken, hüpfen oder gaukeln auf dem Boden dahin, als ob ihre Flügel gelähmt wären und ſie ſo leiht eine Beute des Jägers werden könnten, führen dieſen dann