Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Nußknac>er: Vorkommen. Weſen, Stimme, Nahrung. 469

Tannenhäher lieben. Sobald die Haſelnüſſe reifen, verſammeln ſi< alle Nußkna>er der ganzen Gegend auf den Stre>en, wo der Strauch wächſt. Zu dieſer Zeit fliegen ſie viel herum, und ihre Stimme iſt faſt überall zu hören. Der Morgen wird dem Aufſuchen der Nahrung gewidmet; gegen Mittag verſhwinden die bis dahin eifrig arbeitenden Nußkna>er im Walde; in den ſpäteren Nahmittagsſtunden zeigen ſie ſi< wieder, wenn auh minder zahlreich als am Morgen, in den Büſchen. Fn den Morgenſtunden nimmt ihr Schreien“ und Zanken kein Ende. Jeden Augenbli> erſcheinen einige, dur jenes Geſchrei herbeigelo>t, und ebenſo fliegen andere, die ihren dehnbaren Kehlſa> zur Genüge mit Nüſſen angefüllt haben , ſ<werbeladen und unter ſichtliher Anſtrengung dem Walde zu, um ihre Schäße dort in Vorratsfkammern für den Winter aufzuſpeichern. Um die Mittagszeit pflegen faſt alle im dichten Unterholze der Waldungen wohlverdienter Nuhe. Jn den ſpäten Nachmittagsſtunden erſcheinen ſie wiederum, ſchreien wie am Morgen, ſeven ſich aber oft halbe Stunden. lang auf die höchſte Spibe einer Tanne oder Fichte, um von hier aus Umſchau zu halten. Jm Berggürtel oder in den hochnordiſhen Waldungen ſind es die Zirbelnüſſe, die ſie zu ähnlichen Ausflügen veranlaſſen. Schon um Mitte Juli, vor der Reife dieſer Nüſſe, finden ſie ſi, wenn auch zunächſt noch in geringer Anzahl, auf den zapfentragenden Arven ein; bei vollſtändiger Reife der Frucht erſcheinen ſie in erhebliher Menge und unternehmen nunmehr förmliche Umzüge von Berg zu Thal und umgekehrt, beladen ſi< auch ebenſo wic jene, welche die Haſelſträucher plündern. Nah Wiedemanns Beobachtungen fliegen ſie in Tirol, Zirbelnüſſe ſammelnd, während des ganzen Tages auf und nieder, benugzen dabei gewiſſe hervorragende Bäume, um auf ihnen ein wenig zu raſten, und beenden ihre Ernte erſt, wenn der in der Höhe frühzeitig fallende Schnee ſie der Tiefe zutreibt.

Beim Sammeln ihrer Vorräte verfahren ſie ſehr geſhi>t. Solange ſie no< hinlänglich viele Haſelnüſſe zu pflü>en haben, ſeßen ſie ſi einfach auf die fruhtbehangenen Zweige; wenn die Büſche jedoch faſt abgeerntet ſind, halten ſie ſih, wie Vogel ſah, über den wenigen no< vorhandenen Nüſſen rüttelnd in der Luft und pflücken ſie in ſolcher Stellung. An den Zapfen der Arve oder Zirbel und anderer Nadelbäume krallen ſie ſih mit den Nägeln feſt. brechen mit kräftigen Schnabelhieben die Schuppen auf und gelangen fo zu den Samen, deren Schalen ſie mittels Zuſammendrü>en des Schnabels öffnen. Haſelnüſſe werden auf beſtimmten Pläßen mit geſchi>t geführten Schnabelhieben geſpalten. Abgeſehen von Haſel- und Zirbelnüſſen frißt der Tannenhäher Eicheln, Bucheln, Tannen-, Fichten- und Kiefernſamen, Getreide, Ebereſchen- oder Vogel-, Weißdorn-, Faulbaum-, Erd-, Heidel- und Preißelbeeren, ſonſtige Sämereien und Früchte, allerlei Kerbtiere, Würmer, Schne>en und fleine Wirbeltiere aller Klaſſen, iſt überhaupt kein Koſtverächter und leidet daher ſelbſt im Winter feine Not. Eine Zeitlang hält er ſi<h an ſeine Speicher; ſind dieſe geleert, ſo erſcheint er in den Gebirgsdörfern oder wandert aus, um anderswo ſein täglihes Brot zu ſuchen.

Über das Brutgeſchäft des Nußkna>ers haben wir erſt in den beiden leßten Fahrzehnten ſichere Aufſchlüſſe erhalten. Ein Neſt zu finden, iſt auc dann ſchwierig, wenn ein Paar in unſeren Mittelgebirgen niſtet; die eigentlihen Brutpläße des Vogels aber ſind die Waldungen ſeiner wahren Heimat, Dickichte, die kaum im Sommer, noch viel weniger, wenn der Nußfna>er zur Fortpflanzung ſchreitet, begangen werden können. Nah Schütts und Vogels Erfahrungen werden die Neſter ſhon Anfang März gebaut und in der lebten Hälfte des Monats die Eier gelegt; um dieſe Zeit aber liegen die Waldungen des Gebirges ebenſo wie die nordiſhen Wälder noh in tiefem Schnee begraben und ſind ſ{<wer oder niht zugänglih. Der Forſcher muß alſo einen ſ{<neearmen Frühling abwarten , bevor er überhaupt an das Suchen eines Neſtes denken kann.

Mein Vatex exfuhr, daß im Vogtlande ein Nußknackerneſt in einem hohlen Baume gefunden worden ſei, und dieſe Angabe erſcheint keineswegs unglaublich, da au<h Dybowski