Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Flötenvogel. — Würger: Allgemeines. 485

gezahnten und hakig übergebogenen Schnabel, den kurzen, breiten, abgerundeten Flügeln, in denen die dritte oder vierte Shwinge über alle anderen verlängert zu ſein pflegt, und in dem ziemlich oder ſehr langen, abgeſtuften, aus zwölf Federn beſtehenden Shwanze liegen. Das Gefieder iſt regelmäßig reih, etwas lo>er und weih, die Zeihnung angenehm und wechſelvoll, bei gewiſſen Arten aber ſehr übereinſtimmend.

Kleine Waldungen, die von Feldern und Wieſen umgeben ſind, He>en und Gebüſche in den Feldern, Gärten und einzeln ſtehende Bäume bilden die Aufenthaltsorte der Würger, die hölhſten Zweigſpißen hier ihre gewöhnlihen Ruhe- und Sigpunkte. Die meiſten nordiſchen Arten ſind Sommervögel, die regelmäßig wandern und ihre Reiſen vis Mittelafriïa ausdehnen. Lebensweiſe und Betragen erinnern ebenſoſehr an das Treiben der Raubvögel wie an das Gebaren mancher Raben. Sie gehören ungeachtet ihrer geringen Größe zu den mutigſten, raubſüchtigſten und mordluſtigſten aller Vögel. Jhre Begabungen ſind niht beſonders ausgezeihnet, aber ſehr mannigfaltig. Fhre Stimme iſt eintönig und ihr eigentlicher Geſang kaum der Rede wert; ihr Flug iſt ſhle<t und unregelmäßig, ihr Gang hüpfend, gleihwohl überraſchen und fangen ſie gewandtere Vögel, als ſie ſelbſt ſind, ebenſo wie ſie thren Geſang weſentli verbeſſern, indem ſie, ſcheinbar mit größter Mühe und Sorgfalt, anderer Vögel Lieder oder wenigſtens einzelne Strophen und Töne daraus ablauſchen und das nach und na Erlernte, in ſonderbarer Weiſe vereinigt und verſhmolzen, zum beſten geben. Einzelne Arten ſind, dank dieſer Gewohnheit, wahrhaft beliebte Singvögel die Freude und der Stolz mancher Liebhaber.

Auch die Würger ſind eigentlih Kerbtierfreſſer; die meiſten Arten aber ſtellen ebenſo dem Kleingeflügel nah und werden um ſo gefährlicher, als ſie von dieſem meiſt nicht gewürdigt und mit ungerechtfertigtem Vertrauen beehrt werden. Ruhig ſißen ſie minutenlang unter anderen Singvögeln, ſingen wohl auch mit dieſen und machen ſie förmlich ſicher: da plöglih erheben ſie ſih, pa>en unverſehens einen der näcſtſißenden und würgen ihn ab, als ob ſie Raubvögel wären. Sonderbar iſt ihre Gewohnheit, gefangene Beute auf ſpißige Dornen zu ſpießen. Da, wo ein Pärchen dieſer Vögel hauſt, wird man ſelten vergeblich nah derartig aufbewahrten Kerbtieren und ſelbſt kleinen Vögeln oder Kriechtieren und Lurchen ſuchen. Von dieſer Gewohnheit her rührt der Name „Neuntöter“ den das Volk gerade dieſen Räubern gegeben hat.

Das Neft iſt gewöhnlich ein ziemlih kunſtreiher Bau, welcher im dichteſten Geſtrüpp oder wenigſtens im dichteſten Geäſte angelegt und meiſt mit grünen Pflanzenteilen geſhmüd>t iſt. Das Gelege beſteht aus 4—6 Eiern, die vom Weibchen allein ausgebrütet werden, während das Männchen inzwiſchen die Ernährung ſeiner Gattin übernimmt. Die ausgeſ<hlüpften Jungen werden von beiden Eltern geaßt, ungemein geliebt und bei Gefahr auf das mutigſte verteidigt, auh na< dem Ausfliegen no< längere Zeit geführt, geleitet und unterrichtet und erſt ſpät im Herbſte, ja wahrſcheinlich ſogar erſt in der Winterherberge der elterlihen Obhut entlaſſen.

Die Familie iſt neuerdings in Abteilungen zerfällt worden, die als Unterfamilien aufgeſaßt werden mögen. Unter ihnen ſtellen wir die der Wächter oder He>enwürger (Laniinae) obenan, weil unſere europäiſchen Arten ihr angehören. Jhre Merkmale liegen in dem ſehr kräftigen, ſeitlih zuſammengedrü>ten, mit einem Zahne ausgerüſteten Schnabel, den ſtarken, hohläufigen, mittellangzehigen, mit ſpißigen Nägeln bewehrten, auf dem Laufe mit großen Platten getäſelten Füßen, den mäßig langen, gerundeten Flügeln und dem ziemlih langen, geſteigerten Schwanze.

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