Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

488 Erſte Drdnung: Baumvögel; achtzehnte Familie: Würger.

Vögelchen oder Mäuschen. Feder größere Vogel und namentlih jeder falkenartige wird mit Geſchrei begrüßt, mutig angegriffen und ne>end verfolgt. Nicht mit Unrecht trägt er den Namen des Wächters; denn ſein Warnungsruf zeigt allen übrigen Vögeln die nahende Gefahr an.

Erbli>tt er ein kleines Geſchöpf, ſo ſtürzt er ſi< von oben hinunter und verſucht es aufzunehmen. rennt au< wohl einem dahinlaufenden Mäuschen eine Stre>e weit auf dem Boden nah. Nicht ſelten ſieht man ihn rüttelnd längere Zeit auf einer Stelle verweilen und dann wie ein Falke zum Boden ſtürzen, um erſpähte Beute aufzunehmen. Fm Winter ſitt er oft mitten unter den Sperlingen, ſonnt ih mit ihnen, erſieht ſih einen von ihnen zum Mahle, fällt plöglih mit jäher Shwenkung über ihn her, pa>t ihn von der Seite und tötet ihn durh S<hnabelhiebe und Würgen mit den Klauen, \<{hleppt das Opfer, indem er es bald mit dem Schnabel, bald mit den Füßen trägt, einem ſicheren Orte zu und ſpießt es hier, wenn der Hunger nicht allzu groß iſt, zunächſt auf Dornen oder ſpite Äſte, au< wohl auf das Ende eines dünnen Sto>es. Hierauf zerfleiſht er es na<h und nah vollſtändig, reißt ſi<h mundrechte Biſſen ab und verſchlingt dieſe einen nah dem anderen. Seine Kühnheit iſt ebenſo groß wie ſeine Dreiſtigkeit. Vom Hunger gequält, ergreift er, ſo vorſichtig er ſonſt zu ſein pflegt, angeſihts des Menſchen ſeine Beute und fegt dabei zuweilen ſeine Sicherheit ſo rü>ſi<htslos auf das Spiel, daß er mit der Hand gefangen werden kann. Mein Vater ſah ihn eine Amſel angreifen, Naumann beobachtete, daß er die Krammetsvögel verfolgte, ja ſogar, daß er die in Schneehauben gefangenen Rebhühner überfiel. Junge Vögel, die eben ausgeflogen ſind, haben viel von ihm zu leiden. Beſäße er ebenſoviel Gewandtheit wie Mut und Kühnheit: er würde der furhtbarſte Räuber ſein. Zum Glü für das kleine, ſ<wache Geflügel mißlingt ihm ſein beabſihtigter Fang ſehr häufig; immerhin aber bleibt er in ſeinem Gebiete ein höchſt gefährliher Gegner aller ſ<wächeren Vögel.

Der Flug des Raubwürgers iſt niht beſonders gewandt. „Wenn er von einem Baume zum anderen fliegt“, ſagt mein Vater, „ſtürzt er ſih ſchief herab, flattert gewöhnlih nur wenige Meter über dem Boden dahin und ſhwingt ſih dann wieder auf die Spiße eines Baumes oder Buſches empor. Sein Flug zeihnet ſi< ſehr vor dem anderer Vögel aus. Er bildet bemerkbare Wellenlinien, wird dur ſchnellen Flügelſ<lag und weites Ausbreiten der Shwungfedern beſchleunigt und iſt ziemlih raſh, geht aber nur kleine Stre>en in einem fort. Weiter als einen halben Kilometer fliegt er ſelten, und weiter als einen ganzen nie. Eine ſolche Stre>e legt er auh nur dann in einem Zuge zurü>, wenn ex von einem Berge zum anderen fliegt und alſo unterwegs keinen bequemen Ruhepunkt findet.“ Die Sinne ſind ſcharf. Namentlih das Geſicht ſcheint in hohem Grade ausgebildet zu ſein; aber au< das Gehör iſt vortrefflih: jedes leiſe Geräuſch erregt die Aufmerkſamkeit des wachſamen Vogels. Daß er klug iſt, unterliegt keinem Zweifel; in no< höherem Grade aber zeichnet er ſih durch Leidenſchaftlichkeit aus. Er iſ ungemein zänkiſch, beißt ſih gern mit anderen Vögeln herum, ſucht jeden, welcher ſi<h naht, aus ſeinem Gebiete zu vertreiben und zeigt ſih gegen Naubvögel ſehr feindſelig, gegen den Uhu überaus gehäſſig. Mit ſeinesgleihen lebt ex ebenſowenig in Frieden als mit anderen Geſchöpfen. Nur ſolange die Brutzeit währt, herrſcht Einigkeit unter den Gatten eines Paares und ſpäter innerhalb des Familienkreiſes; im Winter lebt der Würger für ſi<h und fängt mit jedem anderen, den er zu ſehen bekommt, Streit an.

Das gewöhnliche Geſchrei, Erregung jeder Art, freudige wie unangenehme, bezeihnend, iſt ein oft wiederholtes „Gäh gäh gäh gäh“. Außerdem vernimmt man ein ſanftes „Truü truü“ als Lo>ton, an ſhönen Wintertagen, namentlich gegen den Frühling hin aber einen förmlichen Geſang, der aus mehreren Tönen beſteht, bei verſchiedenen Vögeln verſchieden und oft höchſt ſonderbar klingt, weil er, wie es ſcheint, nichts anderes iſt als eine Wiedergabe