Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

492 Erſte Ordnung: Baumvögel; achtzehnte Familie: Würger.

dem, der die Jungen aus dem Neſte nehmen will, die Alten, beſonders die Weibchen, keine Gefahr ſcheuend, ins Geſicht. Die Fungen wachſen zwar ſchnell heran, werden aber, nachdem ſie bereits ausgeflogen, lange no< von den Eltern gefüttert. Sie ſigen oft alle auf einem Zweige diht nebeneinander und empfangen ihr Futter unter vielem Schreien; dur< ihr flägliches „Giäh giä> gäcgäckgäk* verraten ſie ihren Aufenthalt ſehr bald. Fn jedem Gehe>e iſt eins der Jungen beſonders klein und ſhwächli<h. Da ſie ſehr viel freſſen, ſo haben die Alten mit dem Fangen und Herbeiſchleppen der Nahrungsmittel ihre volle Arbeit und ſind dann außerordentlich geſchäftig. Bei trüber oder regneriſcher Witterung, wenn ſih wenige Kerfe ſehen laſſen, fangen ſie dann au<h manchmal junge Vögel und füttern die Jungen damit.“

Habicht und Sperber ſtellen den alten \{<warzſtirnigen Würgern nah, Raben, Krähen und Elſtern zerſtören troß des Mutes, den die Alten an den Tag legen, die Brut. Der Menſch, der dieſen Würger kennen gelernt hat, verfolgt ihn nicht oder fängt ihn höchſtens für das Gebauer und zwar in derſelben Weiſe, wie ih {hon weiter oben mitgeteilt habe. Die gefangenen Grauwürger erfreuen dur< ihre Schönheit und Nachahmungsgabe.

Der bekannteſte unter unſeren deutſ<hen Würgern iſt der Dorndreher oder Neuntöôter, Neunmörder, Dorntreter, Dorndrechsler, Dornhäher, Dorngreuel, Totengreuel, Dornreih, Didtkopf, Quarkringel, Warktvogel, Spießer, Millund Singwürger 2c. (Lanius collurio, spinitorquus, colluris und dumetorum, Enneoctonus collurio, Abbildung S. 487). Kopf, Hinterhals, Bürzel und Schwanzde>en ſind hell aſchgrau, die übrigen Oberteile ſ{<hön braunrot, ein ſhmaler Stirnrand und ein oben und unten weiß begrenzter Zügelſtreifen <hwarz, Backen, Kinn, Kehle und die unteren Schwanzde>en weiß, die übrigen Unterteile blaß roſenrot, die Hand- und Armſchwingen bräunlih grauſchwarz, ſhmal hellbraun gekantet, die Dberarmſchwingen faſt ganz roſtbraun; an der Wurzel jeder Armſhwinge ſteht ein kleines, lihtes Fle>chen, das, wenn der Flügel ausgebreitet iſt, eine ſihtbare Binde bildet; die Mittelfedern des Schwanzes ſind braunſchwarz; die folgenden an der Wuxzel, die äußerſten bis zu Dreiviertel weiß und nur an der Spigve ſ{hwarz. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſ{<warz, der Fuß grauſhwarz. Das Weibchen iſt oben roſtgrau, auf der Unterſeite auf weißlichem Grunde braun gewellt. Die Jungen ähneln ihm, zeigen aber auf der Oberſeite lichte Fle>enzeihnung. Die Länge beträgt 18, die Breite 28, die Fittihlänge 9, die Schwanzlänge 7 em.

Unter allen deutſhen Würgern iſt der Dorndreher der verbreitetſte. Er bewohnt faſt ganz Europa von Finnland und Rußland an bis Südfrankreich und Griechenland und ebenſo das gemäßigte Sibirien. Fn Spanien gehört er zu den Seltenheiten; doch ſoll er hier in den nordweſtlihen Provinzen als Brutvogel gefunden werden; in Griechenland brütet ev nur in den höheren Gebirgen. Gelegentlih ſeiner Winterreiſe durhſtreift er ganz Afrika, iſt während unſerer Wintermonate in allen Waldungen des Fnneren wie der Küſtenländer Südafrikas und ſelbſt der dem Feſtlande benahbarten Fnſeln eine ſehr häufige Erſcheinung, wartet dort bei ſehr reihlihem Futter ſeine Mauſer ab, die in die Monate Dezember und Fanuar fällt, und kehrt ſodann allmählich heimwärts. Bei uns zu Lande erſcheint er ſelten vox Anfang Mai und verweilt in der Regel nur bis Mitte Auguſt.

Gebüſche aller Art, die an Wieſen und Weidepläße grenzen, Gärten und Baumpflanzungen ſind ſeine Aufenthaltsorte. Dichte He>en ſcheinen ihm unumgänglich notwendiges Erfordernis zum Wohlbefinden zu ſein. Rottet man ſolche He>en aus, ſo verläßt dieſer Würger, ſelbſt wenn ex fxüher häufig wax, die Gegend. Aber er iſt genügſam; denn ſchon ein einziger: dihter Buſch im Felde befriedigt ihn vollſtändig. Er baut dann viele Jahre nacheinander ſein Neſt immer an dieſelbe Stelle und behauptet den einmal gemähtten