Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

494 Erſte Ordnung: Baumvögel; achtzehnte Familie: Würger.

Grasmücken, Laub- und Gartenſänger, ja ſogar die Höhlenbrüter. Sie verlaſſen infolge der ewigen Bedrohung die Gegend oder werden von dem Dorndreher ergriffen und aufgefreſſen. Die Neſter weiß er ſehr geſchi>t auszuſpüren, und hat er eins gefunden, ſo holt er ſih gewiß ein Junges nac dem anderen weg. Naumann hat beobachtet, daß er junge Dorngrasmü>en, gelbe Bachſtelzen, Krautvögelhen und Spießlerchen erwürgte und fort\<leppte, daß er die in Sprenkeln gefangenen Vögel anging, daß er Finken aus den Gebauern herauszuziehen verſuhte. Andere Beobachter erfuhren dasſelbe. „Fh habe“, ſagt Lenz, „ſhon einige Male folgende Verſuche gemacht: 1) Jn einem großen, mit ſtarkem Dornzaune umgebenen Garten \{<oß ih in einigen Fahren jeden Würger, ſowie er ſi<h anſiedelte, tot. So konnten die nüglihen Vögelchen ruhig in den von mir angeſ<hlagenen Käſtchen und in ſelbſtgebauten Neſtern brüten, wurden über das Ungeziefer ganz Herr, und ih bekam Maſſen trefflichen Obſtes. 2) Jn einem ebenſo beſchaffenen Garten ließ ih die Würger nach ihrem Belieben hauſen. Dabei verließen aber alle anderen Vögelchen den Garten, ſelbſt diejenigen, welche daſelbſt in den Brutkäſtchen zu niſten pflegten; meine Bäume wurden von den Raupen erbärmli<h kahl gefreſſen, und ih bekam gar kein Obſt. 3) Fn dem noc größeren Garten eines meiner Nachbarn hegte ih die Würger in einer E>e, wo ein großes Dorngebüſch ſtand. Dagegen zerſtörte ich jedes andere Würgerneſt in dieſem Garten, ſowie es gebaut war, erſhoß auch die Alten. So zeigte ſich's denn bald, daß rings um die bewußte Efe alle Obſtbäume entblättert wurden und keine Frucht trugen, während ſie an anderen Stellen gut gediehen.“

Mehr noch als andere Arten ſeiner Familie hat der Dorndreher die Gewohnheit, alle gefangene Beute vor dem Verzehren erſt auf einen Dorn oder ſonſtigen ſpißzigen Zweig zu ſpießen. „Er ſammelt“, ſagt Naumann, „ſogar hier, wenn er gerade geſättigt iſt, ganze Mahlzeiten und verzehrt dieſe Vorräte, ſobald ihn der Hunger wieder angreift, mit einem Male. So findet man bei ſhönem Wetter faſt nux Käfer, Kerbtiere und kleine Fröſche, bei falter, ſtürmiſcher Witterung hingegen oft ganze Gehe>e junger Vögel an die Dornen geſpießt, und ih habe manchmal darunter ſogar ſchon flügge, ausgeflogene Grasmücen und Schwalben gefunden. Das Gehirn der Vögel ſcheint einer ſeiner Le>erbiſſen zu ſein; denn den meiſten Vögeln, die ich aufgeſpießt fand, hatte er zuerſt nur das Gehirn aus den Schädeln geholt. Stört man ihn bei ſeiner Mahlzeit, ſo läßt er alles ſte>en und verdorren. Die kleinen Fröſche, die man ſehr oft darunter findet, ſind auf eine ſonderbare Weiſe allemal ins Maul geſpießt.“

Ungeſtört, brütet das Dorndreherpaar nur einmal im Jahre. Das Neſt ſteht immer in einem dichten Buſche, am liebſten in Dornſträuchen, und zwar niedrig über dem Boden. Es iſt groß, dit, di> und gut gebaut, äußerlih aus ſtarken Grasſtöken und Grashalmen, Queen, Moos und dergleichen zuſammengeſeßt, nah innen zu mit feineren Stoffen derſelben Art, die ſorgfältig zuſammengelegt und durcheinander geflochten werden, ausgebaut und in der Mulde mit zarten Grashalmen und feinen Wurzeln ausgefüttert. Das Gelege enthält 5—6 Eier von verſchiedener Größe und Färbung. Sie ſind entweder länglich oder etwas bauchig oder ſelbſt rundlih, dur(ſchnittlih 21 mm lang, 15 mm di> und auf gelblichem, grünlih graugelbem, blaßgelbem und fleiſhrotgelbem Grunde ſpärlicher oder dichter mit aſhgrauen , ölbraunen, blutroten und rotbraunen Fle>en gezeichnet. Das Weibchen brütet allein und ſißt ſo feſt auf den Eiern, daß man ihm Leimruten auf den Nü>ken legen und es ſo fangen kann. Die Jungen werden von beiden Alten groß gefüttert, außerordentlich geliebt und mutig verteidigt.

Jn der Gefangenſchaft hält der Dorndreher nur bei guter Pflege mehrere Fahre aus. Mit anderen Vögeln verträgt ſih dieſer Mörder ebenſowenig wie irgend ein anderes Mitglied ſeiner Familie, überfällt im Geſellſchaftsbouer ſelbſt Vögel, die noh einmal ſo groß