Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Rauchſhwalbe: Sinnesſchärfe. Nahrung. Fortpflanzung. 5283

Tragbalken an der Dee des Kuhſtalles oder der Flur des Bauernhauſes, ein Dachboden, den die beſenführende Magd meidet, oder irgend eine andere Räumlichkeit, die eher den Farbenſinn eines Malers als das Reinlichkeitsgefühl einer Hausfrau befriedigt, mit kurzen Worten, alternde, verfallende, mehr oder minder ſhmußige, vor Zug und Wetter geſchüßte Näume ſind die Niſtpläße, die ſie beſonders liebt. Hier kann es vorkommen, daß förmliche Siedelungen entſtehen. Das Neſt ſelbſt wird an dem Balken oder an der Wand, am liebſten an rauhen und unten durch vorſpringende Latten, Pflö>ke und dergleichen verbeſſerten Stellen feſtgeklebt. Es ähnelt etwa dem Vierteile einer Hohlkugel; ſeine Wände verdi>en ſih an der Befeſtigungsſtelle; der im ganzen wagereht ſtehende Rand zieht ſich hier meiſt au< etwas höher hinauf. Die Breite beträgt ungefähr 20, die Tiefe 10 cm. Der Stoff iſt {hlammige oder mindeſtens fette Erde, die klümpchenweiſe aufgeklaubt, mit Speichel überzogen und vorſichtig angeklebt wird. Andere Stoffe verwendet ſie ſelten; doh erhielt ih ein Neſt, das einzig und allein aus zertrümmerter Knochenkohle beſtand und in üblicher Weiſe zuſammengekleiſtert worden war. Feine, zwiſchen die Neſtwände eingelegte Halme und Haare tragen zur beſſeren Feſtigung bei; das eigentliche Bindemittel aber iſt der Speichel. Bei ſchöner Witterung vollendet ein Schwalbenpaar das Aufmauern der Neſtwandungen innerhalb 8 Tagen. Hierauf wird der innere Raum mit zarten Hälmchen, Haaren, Federn und ähnlichen weichen Stoffen ausgekleidet, und die Kinderwiege iſt vollendet. Ein an geſchüßten Orten ſtehendes Schwalbenneſt dient lange, lange Fahre, vielleicht niht ſeinen Erbauern allein, ſondern au<h nachfolgenden Geſchlechtern. Etwaige Schäden beſſert das Paar vor Beginn der Brut ſorgfältig aus; die innere Ausfüllung wird regelmäßig erneuert, im übrigen jedo< nichts an dem Baue verändert, ſolange er beſteht.

Jm Mai legt das Weibchen 4—6 zierliche, 20 mm lange, 14 mm die, zartſchalige, auf rein weißem Grunde mit aſhgrauen und rotbraunen Punkten gezeihnete Eier ins Neſt, bebrütet ſie ohne Hilfe ſeines Männchens und zeitigt bei günſtiger Witterung binnen 12 Tagen die Jungen. Bei ſ<hle<hter, zumal naßkalter Witterung muß es die Eier ſtundenlang verlaſſen, um ſich die ihm nötige Nahrung zu erbeuten, und dann kann es geſchehen, daß die Eier erſt nah 17 Tagen ausgebrütet werden. Die anfangs ſehr häßlichen, breitmäuligen Fungen werden von beiden Eltern fleißig geaßt, wachſen unter günſtigen Umſtänden raſch heran, ſchauen bald über den Rand des Neſtes heraus und können, wenn alles gut geht, bereits in der dritten Woche ihres Lebens außerhalb des Eies den Eltern ins Freie folgen. Sie werden nun noch eine Zeitlang draußen gefüttert, anfangs allabendlich ins Neſt zurügeführt, ſpäter im Freien hübſ< zur Ruhe gebracht und endlich ihrem Schi>kſale überlaſſen.

Sodann, meiſt in den erſten Tagen des Auguſt, ſchreiten die Alten zur zweiten Brut. Fn manchen Jahren verſpätet ſih dieſe ſo ſehr, daß Alte und Junge gefährdet ſind; in nördlichen Ländern müſſen leßtere zuweilen wirklih verlaſſen werden. Unter günſtigeren Umſtänden ſind auch die lezten Jungen längſt flügge geworden, wenn der eintretende Herbſt zur Winterreiſe mahnt. Nunmehr ſammeln ſie ſi<h im Geleite ihrer Eltern mit anderen Familien derſelben Art, mit Bachſtelzen und Staren im Nöhricht- der Teiche und Seen, hier Nuhe haltend, bis die eine Nacht herankommt, welche die lieben Gäſte uns entführt. Eines Abends, bald nah Sonnenuntergang, erhebt ſich das zahlloſe Shwalbenheer, das man in den Nachmittagsſtunden vorher vielleicht auf dem hohen Kirchendache verj)ammelt ſah, auf ein von mehreren Alten gegebenes Zeichen, zieht davon und verſhwindet wenige Minuten ſpäter dem Auge.

Ungeachtet ihrer Gewandtheit und troß ihrer Anhänglichkeit an den Menſchen droht der Schwalbe mancherlei Gefahr. Bei uns zu Lande iſt der Baumfalke der gefährlichſte von allen natürlichen Feinden; in Südaſien und Mittelafrika übernehmen andere ſeines Geſchlechtes ſeine Nolle. Die jungen Schwalben werden dur alle Raubtiere, welche im Fnneren des