Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

146 Zehnte Drdnung: Stoßvögel; erſte Familie: Falkenvögel.

lauernd, zwei große Raubvögel ſi< in hoher Luft bewegen, endlih ſi< ineinander verkrallen und wirbelnd zum Horſte herunterſtürzen, Hier trennten ſie ſich, und der Beobachter erkannte jebt mit Erſtaunen, daß die zwei Kämpfer niht einer Art, ſondern ein Kuttengeier und ein Steinadler geweſen waren. Was den lebteren bewegt haben konnte, den friedlichen Kuttengeier anzugreifen, bleibt ein Nätſel. Von dem Menſchen hat leßterer wenig zu leiden, wird wenigſtens niht regelre<ht verfolgt. Graf Chotek, der ihn ſchütt, beklagt, daß er viele verliere, weil ſie im Winter das für Wölfe beſtimmte vergiftete Fleiſch freſſen, trobdem es, ihnen zuliebe, unter einem niedrigen Bretterdache ausgelegt wird.

Ein Kuttengeier, den Leisler pflegte, war anfänglich ſanft und gutmütig, wurde aber ſpäter boshaft und hieb, nur ſeinen Wärter verſhonend, mit Schnabel und Fang nach jedem, welcher ihm nahte. Er verzehrte verweſende Tiere ebenſo gern wie friſche, fraß ſie mit Haut und Haaren, ſelbſt den Schwanz von jungen Füchſen, und ſpie ſodann Gewölle aus; 12 bis 15 em lange Knochen verdaute er ganz. Fiſche nahm er nie, lebende Tiere griff er niht an: ein Kolkrabe und eine Rabenkrähe lebten monatelang friedlich mit ihm, und obſchon man ihn Hunger leiden ließ, that er doh einem Haſen, mit dem er ſi zuſammen befand, nichts zuleide. Tote Kaßen fraß er ſehr gern; befeſtigte man aber einen Bindfaden an eine und zog ſie hin und her, ſo ſprang er furchtſam davon, kam nah einiger Zeit wieder, gab ihr einen Hieb mit dem Fuße, ſprang ſchnell wieder zurü> und that dies ſo oft, bis ex von ihrem Tode überzeugt war. Um den Geier zu töten, gab man ihm 12 Gran Arjenik. Nach einer Stunde bekam er Zittern, würgte das vergiftete Fleiſh heraus, fraß es wieder und befand ſih abermals eine Stunde ſpäter wiederum ganz wohl. Am ſelben Nachmittage gab man ihm no< 2 Quentchen Arſenik; wiederum aber erfolgte wohl Zittern und Erbrechen, jedo<h niht der Tod.

Ein anderer zeigte ſih troßig, ſolange er eingeſperrt war, heiter und ne>iſ<h, nachdem man ihm geſtattet hatte, frei im Hofe umherzulaufen. „Er erſhre>t“, ſo ſchreibt mir Graf Lázár, ſein Pfleger, „die Hähne, ohne ſie jedo<h zu gefährden, zerrt die Shweine am Schwanze, läuft den Hunden na<h und treibt ſie wohl auch in die Flucht. Selbſt mein Diener muß ſi< in aht nehmen, daß ihm „Pandur! niht das zur Fütterung beſtimmte Fleiſ<h mit Gewalt wegnimmt. Solange er niht gereizt wird, lebt er mit allen Leuten im beſten Einverſtändniſſe: ſelbſt Kinder können ohne Furcht in ſeine Nähe kommen; angegriffen aber verteidigt er ſi<h tapfer und teilt kräftige Schnabelhiebe aus. Jm Zorne ſchleift er die halbgeöffneten Flügel, ſträubt ſeine langen Rückende>federn, nimmt eine wagere<hte Stellung an, ſtre>t den Hals weit vor und trippelt und hüpft ſo ſonderbar umher, daß man ſi des Lachens kaum erwehren kann. Er iſt ebenſo gefräßig, kann aber niht auch fo lange hungern, wie der Gänſegeier. Waſſer iſt ihm Bedürfnis; denn ex trinkt oft und badet ungemein gern. Das Fleiſh von Säugetieren zieht er allem anderen vor; doch frißt er au<h Vögel. Fiſche verzehrt er ſelbſt beim größten Hunger nicht.“

„Als Knabe“, erzählt mir Graf Nudolf Chotek, „erhielt i< einen Kuttengeier, der mit durhnäßtem Gefieder aus den Fluten der Donau gezogen und dur< 12 Jahre im Pfarrhauſe gepflegt worden war. Dieſen Geier nahm ih mit na< Korompa, woſelbſt er weitere 30 Jahre lebte. Dann erhielt ihn Fürſt Lamberg, brachte ihn na<h Steyr und wies ihm im dortigen Schloßgraben ſeinen Aufenthalt an. Hier würde er wahrſcheinlih noch leben, wäre ex nicht von einem Hirſche totgeforkelt worden. Dieſer Geier, ein Weibchen, das wiederholt Eier legte, hatte abſonderliche Freundſchaft mit einem jungen, mutterloſen Haushuhne geſ<hloſſen, das zwiſchen den Latten ſeines großen Käfigs durhgeſ<hlüpft war und ſich ihm zugeſellt hatte. Des Abends oder bei Regen ſah man es ſtets bei ſeiner großen Freundin, die es zärtlih bewachte und huderte. Was aus dem Huhne ſpäter geworden, iſt mir niht mehr erinnerlih; wohl aber weiß ih, daß der Geier es niht getötet hat.“