Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Ohrengeier: Lebensweiſe. Fortpflanzung. Jagd. 449

fliegt dann kreiſend, oft auf Stre>en hin ohne Flügelſchlag ſ<hwebend, ſeinem Schlafplaße zu. Zur Nachtruhe wählt er ſih niht immer die größten Bäume aus, ſondern begnügt ſich mit jedem, der ihm paſſend erſcheint, oft mit einem kaum 3 m hohen Mimoſenſtrauche. Hier ſitt er in ſehr aufrehter Haltung, wie ein Mann, den Kopf dicht eingezogen, den Schwanz \{laff herabhängend. Am Morgen verweilt er wenigſtens no<h 2 Stunden nah Sonnenaufgang auf ſeinem Schlafplaße, und bis zum Auffliegen iſt er ſo wenig ſcheu, daß man ihn unterlaufen und ſelbſt mit Schrot herabſchießen kann. Als ih das erſte Mal von Menſa zurü>kehrte, traf ih in einem wegen des dur<führenden Weges wenigſtens einigermaßen belebten Thale eine Geſellſchaft von etwa acht ſ{<lafenden Ohrengeiern an. Die Vögel ſaßen ſo feſt, daß ih um ihren Schlafbaum herumreiten konnte, ohne ſie aufzuſcheuchen. Erſt nahdem ih einen von ihnen herabgeſchoſſen hatte, flogen ſie auf, waren aber no< ſo ſ{<laftrunken, daß ſie ſhon na< einer Entfernung von ungefähr 500 Schritt wieder aufbäumten. Auf dem Aaſe erſcheinen ſie nie vor 10 Uhr morgens und verweilen daſelbſt ſpäteſtens bis 4 oder 5 Uhr nahmittags. Man erkennt ſie an ihrem ruhigen, ſchönen Fluge, namentli<h aber daran, daß ſie, wenn ſie ein Aas aufgefunden haben, weit über 100 m ſenkreht herabfallen, hierauf die Schwingen wieder breiten, die Beine weit von ſih ſtre>en und ſi<h dann vollends ſchief auf das Aas berabſenken. Hier halten ſie ſih, wie die Kuttengeier, vorzugsweiſe an die Muskeln; Eingeweide ſcheinen ſie zu ver{<mähen. Über die Fortpflanzung des Dhrengeiers berihtet Levaillant: „Der Ohrengeier niſtet in Felshöhlen. Das Weibchen legt 2, höchſt ſelten 3 weiße Eier und zwar im Oktober. Jm Januar ſ{<lüpfen die Jungen aus. Da die Vögel in zahlreichen Geſellſchaften leben, enthält oft eine Felſenwand ſo viele Horſte, wie ſie bergen kann. Wie es ſcheint, leben die Mitglieder einer Anſiedelung im beſten Einvernehmen untereinander. Jh habe in einer Höhle bisweilen 2—3 Horſte geſehen, einen dit an dem anderen. Mit Hilfe meiner Hottentotten habe ih mein Leben auf das Spiel geſeßt, um die Horſte zu unterſuchen. Jhre Umgebung iſt wirklih ekelhaft und der Geſtank daſelbſt faſt unerträglih. Dazu kommt, daß die Felſen von der herbeigeſchleppten Fleiſchmenge glatt und ſ{hlüpfrig geworden find, ſo daß man in Gefahr kommt, auszugleiten und in die Tiefe zu ſtürzen. Jh koſtete Eier des Ohrengeiers und fand fie ebenſo wie die des Gänſegeiers gut genug, um ſie zu gebrauchen. Die jungen Geier entſhlüpften dem Eie in einem weißen Daunenkleide.

Jh glaube, daß vorſtehende Beſchreibung der Berichtigung bedarf. Höchſt wahrſcheinli legt der Ohrengeier niht 2 oder 8 Eier, ſondern bloß ein einziges, und ſicherlich ſind dieſe für Menſchen europäiſcher Abkunft gänzlich ungenießbar. Für das erſtere ſpricht eine Mitteilung Gourneys, deſſen geſangenes Weibchen 4 Jahre nacheinander und zwar ſtets im Februar je ein einziges, auf weißem Grunde mit rötlichen, am ſtumpfen Ende ſi häufenden Fle>en gezeichnetes Ei legte; das leziere bedarf für den, der einmal ein friſches Geierei berochen hat, weiterer Worte niht. Jn allem übrigen mag Levaillant ret behalten. i Während meines längeren Aufenthaltes in Chartum jagte ih einen Monat lang tagtäglih auf Geier, die i< dur< ausgelegtes Aas herbeilo>te. Leßteres wurde auf einer weiten Ebene hinter einem dort ſtehenden Erdwalle ausgeworfen und uns dadurch die Möglichkeit geboten, an die ſhmauſende Geſellſchaft bis auf 20 Sqhritt hinanzuſchleichen. Bei dieſen Jagden ſammelte ih die Beobachtungen, die ih weiter oben mitgeteilt habe. Es iſt mir wiederholt gelungen, mit Hilfe eines raſh gewe{ſelten Gewehres mehrere Ohrengeier zu erlegen; ih habe einmal ſogar vier von ihnen mit einem Schuſſe niedergeſtre>t. Nebenbei wurden auch Fallen geſtellt und zwar ſolche der allereinfachſten Art; ſie bewieſen ſi aber als wirkſam. J< hatte nah kurzer Zeit eine ziemlihe Anzahl von Geiern beiſammen.

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. VI. 29